Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze


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Beischlagsteine und ihre Beziehungen zu Grabkreuzen und Sühnezeichen
Von Walter Saal

Eine Besonderheit des Nord- und Ostseeraums oder richtiger und zusammenfassender des hanseschen Handelsraumes sind die Beischlagsteine, die in den Hansestädten die Öffnungen der Beischläge zur Straße hin begrenzten. Die Beischläge waren terrassenförmige Hausvorbauten, die durch Treppen mit der Straße verbunden waren. Auf ihnen wurden, wie auf Plattformen, die Waren abgesetzt, die von hier aus in die Speicher der Obergeschosse transportiert werden sollten. Die Beischläge wurden sehr oft seitlich von den mit Buden überbauten Kellereingängen flankiert. Soweit diese Überbauten die Beischläge nicht begrenzten, geschah dies durch gemauerte Geländer. Diese Geländer fanden an den Antritten der Treppen ihren Abschluß durch senkrecht stehende Steinplatten, die parallel zur Straße ausgerichtet waren. Die mir bekannt gewordenen Beischlagsteine sind sämtlich aus gotländischem Kalk gefertigt und weisen sich damit offensichtlich als hansesches Handelsgut aus. Lediglich in den Städten Estlands besteht die Möglichkeit der Verwendung einheimischen Kalksteins, der aber dem gotländischen sehr verwandt ist und der auch im norddeutschen Raum vertreten sein kann, da der Transport estländischer Kalksteinplatten zumindest nach Stralsund und Rostock sehr wahrscheinlich gemacht werden kann.

Die Ausweitung des Handels und die damit verbundene Verlagerung der Handelswaren in die Speicher der Häfen selbst, machten die innerstädtischen Speicher überflüssig (zum größten Teil), sodaß die Speichergeschosse zu Wohnzwecken umgebaut wurden. Diese Entwicklung ist besonders um die Wende des 16. zum 19. Jahrhundert zu beobachten, wobei die Kontinentalsperre und die napoleonischen Kriege sicher verstärkende Wirkung ausübten. Die Notwendigkeit zur Beschaffung von billigem Wohnraum im Zuge der beginnenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert wird dazu ein Weiteres beigetragen haben. Eine Folge des Wegfalles der innerstädtischen Speicher war auch die Beseitigung der Beischläge in den meisten Handelsstädten. Der Höhenunterschied zwischen der Straße und der Fußbodenfläche des Hausflures wurde durch eine Anhebung der Straße ausgeglichen, oft im Zuge von Neupflasterungen, zum Teil wurden auch die Außentreppen in die Häuser hineingezogen. Die dem heutigen Beschauer sich bietenden niedrigen Kellereingänge sind aus dieser Entwicklung heraus zu erklären. Die Beischlagsteine wurden in der Mehrzahl vernichtet, zum Teil wurden sie auch sekundär weiterverarbeitet und sind z.B. in Tallinn (Reval) mit Neuaufschriften als Grabsteine von Arbeitsleuten auf den Olai-Kirchhof gekommen .- Die in Gdansk (Danzig) noch 1939 vorhandenen Beischläge wurden zum größten Teil am Ausgang des letzten Krieges vernichtet und sind erfreulicherweise von der polnischen Denkmalpflege wieder liebevoll in der alten Form restauriert worden. Sie müssen jedoch als Ausnahme angesehen werden, die meisten Beischlagsteine sind heute nur noch in den Museen zu bewundern, wie z.B. in Greifswald.

Die Urform der Beischlagsteine ist die einer hohen Rechtecktafel. Vermutlich sind die Platten auch in dieser Form aus Gotland exportiert worden. - Sofern sie weiterverarbeitet gewesen sind, dürften sie den gotländischen Grabsteinen des 13. bis 15. Jh. entsprochen haben, d.h. sie haben eine durch Ritzzeichnung erfolgte einfache Darstellung von Kreuzen oder Nimbusscheiben auf Stäben und Sockeln getragen. Diese Darstellungen kamen in der ottonisehen Zeit auf, wurden für die Romantik üblich und retteten sich geringfügig verändert in die Gotik hinüber. Diese Veränderung bestand meist aus dem Übergang von der Ritz-Zeichnung zur flachen Herausmodellierung des Kreuzes, wobei der Korpus zu Anfang selbst noch eingeritzt blieb. Erscheint in der Anfangszeit am Kreuzsockel noch verschiedentlich der Lebensbaum als Auferstehungszeichen, so tritt der Korpus in der Gotik als beherrschendes Moment auf. Der tröstliche Auferstehungsgedanke hat sich zum schmerzlichen Tod für die Menschheit am Kreuzesholz gewandelt, wobei ungeklärt ist, wie weit die Künstler dabei an die Erlösung durch Christi Tod oder das Hinscheiden des Verstorbenen gedacht haben.

Die Nimbusscheibe der Grabsteine rückte dann in der Weiterentwicklung an das obere Ende der Kalksteintafel und trat zuletzt auch aus ihr heraus, wobei dieses Heraustreten durch zwei seitliche, gegenständige V-förmige Einschnitte erreicht wurde. Diese Einschnitte trennen von der länglich-rechteckigen Platte ein Quadrat von der Seitenlange der Plattenbreite ab. Aus diesem Quadrat, das auf der nunmehr verkürzten Rechteckplatte aufsaß, entwickelte sich durch Brechen der oberen Ecken ein Siebentel-Achteck oder ein nahezu vollständiger Kreis. Da sich Reste von früheren Kreuz-Grabsteinen auch auf den estnischen Inseln Saaremaa (Ösel) und Muhu (Moon), sowie an der diesen Inseln benachbarten Küste finden, besonders aber an und in den Kirchen, jedoch aus heimischem Gestein gefertigt sind, dürften die gotländlschen Steinmetze ihre Kunst in den gesamten Hanse-Handelsberelch weitergegeben haben. Bisher konnte noch nicht nachgewiesen werden, ob gotländische Stelnmetze etwa auch in den Einfuhrorten seßhaft geworden waren und hier die Endbearbeitung selbst vornahmen.

Auf eine Besonderheit sei in diesem Zusammenhang hingewiesen: In Stralsund wurden die Beischlagsteine als Wangelsteine bezeichnet.

In der funktionellen wie künstlerischen Gestaltung der Beischlagsteine knüpfen diese an die Traditionen der hohen Seitenwangen des kirchlichen Holzgestühls, vor allem des Chorgestühls, an. An Einflüsse durch Gedächtnissteine darf weniger gedacht werden und sofern dieses bejaht werden muß, so liegt der Einfluß sicher auch viel später. An solche durch Totenbretter darf garnicht gedacht werden, da die Beischlagsteine den Besitzreichtum ihrer Inhaber dokumentierten, die sich sicher auch nur in Särgen bestatten ließen und nicht etwa auf einfachen Brettern oder gar nur in Leinenumhüllungen.

Die in Schweden, dem baltischen und nordwestdeutschen Raum vorhandenen Radkreuze mit durchbrochenen Stellen zwischen Kreuzarmen und Radkranz sind entweder sehr früh abgespaltene Weiterentwicklungen oder haben anderen eigenständigen Einflüssen unterlegen. Das fällt vor allem an den Steinen auf, deren Fußbreite größer ist als die Breite des Kopfes und deren Grundform daher wohl nicht das Rechteck, sondern das Trapez war. Das gilt vor allem für das baltische Gebiet, obwohl einheimische Forscher in ihnen Nachfolger der Beischlagsteine sehen. Man muß wohl mehr eine Entwicklung aus gemeinsamer Wurzel in Betracht ziehen, denn das durchbrochene Radkreuz war im Baltikum des 17. Jh. der bevorzugte Grabsteintyp der bäuerlichen Bevölkerung und hielt sich im Gebiet der Küstenschweden noch bis in den Beginn unseres Jahrhunderts.

Auf den Beischlagsteinen wurden gern neben den Hausmarken oder -zeichen oder -wappen, was für die Endbearbeitung am Aufstellungsort spricht, Heilige abgebildet. Die Wappen wurden bevorzugt im oberen Rund oder Eck angebracht, Hausmarken dagegen fanden sich auch an ihrem Fuß, sofern man in diesem Fall nicht Steinmetzzeichen sehen will. Die beliebteste Heiligendarstellung scheint die des Hl. Georg gewesen zu sein. Sie wurde mir aus Hamburg (Historisches Museum), Rostock und Tallinn bekannt. Auf dem aus der Renaissance-Zeit stammenden Rostocker Beischlagstein steht der Heilige erhaben auf der unteren Tafel, während das obere Rund von einem Wappen eingenommen wird. In Hamburg ist der Heilige vertieft auf der ganzen Fläche des Steines untergebracht, die Entstehung des Steines wird auf um 1440 datiert. - Die Wappendarstellungen dürften sich besonders in der Frührenaissance durchgesetzt haben, sie wurden später zum untrennbaren Teil der Gesamtkonzeption der Beischlagsteine und schließlich in der 2. Hälfte des 17. Jh. zu ihrem Hauptelement.

Nach der Reformation treten verschiedentlich an die Stelle der Heiligendarstellungen Bibelsprüche. - Im Stadtmuseum von Tallinn befindet sich das Oberteil eines Beischlagsteines mit der Darstellung einer sechsblättrigen Rose, die in ihrer sonstigen Gestaltung stark an die Lutherrose erinnert.

Das "Pomertkreuz" bei Herrnburg (DDR)
Foto: W. Saal, Merseburg

Das Kreuz nach einer Zeichnung in der Zeitschrift „Heimat“ (1891)

Neben Gotland traten vermutlich schon im 14. Jh. die estnische Westküste und die estnischen Inseln als Exporteur von Steinlieferungen auf. Der früheste bekannte Tallinner Meister Reynken hat im 15. Jh. Beischlagsteine nach Riga und Rostock geliefert. Ein Beischlagstein für eine Gräfin Brahe vom Jahre 1634 wurde wohl nachträglich unter weitgehender Schonung des Wappens zu einem Grabkreuz umgewandelt. - Im stadtgeschichtlichen Museum zu Riga befindet sich ein Beischlagstein, der unter den Namen "Adam und Eva" bekannt ist, tatsächlich aber ein Bürgerehepaar zeigt, zu deren Füßen sich ein Schild mit einer Hausmarke befindet, aus den ein Baum herauswächst. Das wirklich erste biblische Menschenpaar stellt dagegen ein Stein in Stadtmuseum von Tallinn dar, interessanterweise hat auf dieser Darstellung die Schlange einen Menschenkopf. - In der Spätzeit der Beischlagsteine scheint man wieder zu der reinen Tafelforn übergegangen zu sein, wie die beiden Darstellungen "Golgatha" und "Auferstehung" im Stadtnuseum zu Tallinn beweisen. Sie sind zwischen 1636 und 1640 entstanden.

Wurde einleitend auf die zweck- und konstruktiv bedingte wangenähnliche Form der Beischlagsteine hingewiesen, so bewahrt eine weitere Gruppe ähnlicher Steine, die von Horst Ende als "Denk- und Sühnesteine" bezeichnet wurden, die Wangenform sogar im volkstümlichen Namen "Mordwangen" auf. Die in den drei nördlichen Bezirken der DDR (Rostock, Schwerin, Neubrandenburg = ehem. Mecklenburg und Vorpommern) noch vorhandenen 18 Steine stammen aus der Zeit zwischen der Mitte des 14. Jh. und dem frühen 16. Jh. Die stelenartigen Platten, eine hat allerdings Kreuzforn, sind aus Kalkstein oder Granit gefertigt, wobei die 16 Kalksteinplatten eindeutig dominieren. Ob, wie Ende schreibt, die Kalksteinplatten nur aus Gotland importiert sind, muß auf Grund des Nachweises von in Estland gefertigten und nach Rostock importierten Beischlagsteinen in dieser Einschränkung angezweifelt werden. Der Import fertiger Beischlagsteine aus Tallinn und wohl auch von Gotland nach Rostock läßt vermuten, daß auch die Mordwangen nicht unbedingt erst in der Nähe des jetzigen Standortes ihre letzte Bearbeitung erhalten haben. Konnten doch die Beischlagsteine für ein Handelshaus sicher eher persönlich auf einer Handelsreise beim Steinmetz in Tallinn nach Wunsch bestellt werden, wogegen die Mordwangen, die persönlich stärket gebunden waren, sicher nicht nur von Kaufleuten in Auftrag gegeben wurden, sind doch auch feudale und Geistliche unter denen, für die sie errichtet wurden. Ihr Preis wird auf jeden Fall ziemlich hoch gewesen sein, so daß normale Sterbliche wie Handwerker oder gar Arbeitsleute sie sich nicht leisten konnten. Tatsächlich sprechen die Inschriften und Wapptndarstellungen auf den mecklenburgisch-pommerschen Mordwangen auch dafür, daß sie nur für Angehörige des Feudaladels oder des städtischen Patriziats gesetzt worden sind.

Unsicher bleibt bei allem die Zuschreibung der Tallinner Bildhauer. Der erwähnte Meister Reynken scheint auf Grund seines Namens Niederdeutscher gewesen zu sein. Auch seine Verbindungen nach Rostock sprechen dafür. In Polen und der UdSSR, nicht so klar in den übrigen Ostblockstaaten, wird im allgemeinen der in einer bestimmten Landschaft tätig gewesene Künstler auch dieser Landschaft zugeschrieben. Es sei dabei nur an die recht umstrittene Inanspruchnahme von Veit Stoß für Polen erinnert. Hingegen weist die Kunstforschung darauf hin, daß nachweislich aus Tallinn bezogene Kunstgegenstände sich anfänglich nicht von Lübecker Import unterscheiden lassen und zu vermuten ist, daß in Lübeck ausgebildete Künstler auch in Tallinn wirkten und von hier aus den Norden belieferten. Erst nach 1500 erscheinen in Finnland unterschiedlich ausgeführte Kunstprodukte, von denen angenommen wird, daß die gröberen Arbeiten von in Tallinn ausgebildeten Künstlern stammen, während die besseren von in Norddeutschland beheimateten und hier ausgebildeten Künstlern herrühren. Der Stellenwert der über Tallinn nach Finnland bezogenen Kunstwerke wird damit von finnischer Seite differenziert beurteilt.

Die eigentlichen Mordwangen bestehen in allen Fällen aus einer hochrechteckigen Tafel und dem runden oder vieleckigen Kopfstück. Das letztere trägt in einigen Fällen zwei oder vier knaufartige Ansätze, die sich bei der Ausarbeitung des Kopfstückes aus der Rechtecktafel ergaben. An einigen zeigen Bruchstellen, daß sie erst später verloren gegangen sind. Die Mehrzahl der Steine weist in Rechteckteil Darstellungen des Kruzifixes oder der sog. "Kleinen Kreuzigung" auf (Christus am Kreuz, zu dessen beiden Seiten Maria und Johannes). Diese Darstellung reicht meist in den Kopfteil hinein, wobei der Nimbus des Gekreuzigten zentral im Kopfteil zur Darstellung kommt. Zu Füßen des Kreuzes kniet der Verstorbene, der wohl meist durch Totschlag, seltener durch Unglücksfall, unvorbereitet ins Jenseits befördert worden ist. Im allgemeinen ist der Verstorbene mit seinem knieenden Unterkörper etwas unter dem Kreuzfuß angeordnet, sofern aber ausreichender Platz auf dem Schaftteil vorhanden war, rückt er auf den Platz rechts der Kreuzigung. Die Darstellung erinnert damit an die Anordnung der Stifter auf den späteren Renaissance-Epitaphien. Ein von dem Verstorbenen ausgehendes Spruchband mit der Gebetsformel "misere mei deus" oder ähnlichen Abwandlungen kennzeichnet ihn als die Person, für die das betreffende Mal errichtet wurde und für dessen Seelenheil jeder Vorübergehende ein Gebet sprechen sollte. Seine soziale Herkunft wird außer durch eine Inschrift auch durch das beigefügte Wappen kenntlich gemacht. Die älteren Inschriften sind lateinisch abgefaßt, etwa von der Mitte des 1%. Jh. an bedient man sich auch des Niederdeutschen. Sie nennen den Namen des Verstorbenen, eine Frau ist nicht unter ihnen, das Todesdatum, seltener auch die Todesumstände und nur in zwei Fällen auch die Stifter. In diesen beiden Fällen ließ der Sohn bzw. der Bruder des Verstorbenen den Stein errichten. Man kann daher wohl beide Male als Gedenksteine ansehen. Es ist jedoch zu vermuten, daß auch noch andere Steine dem Gedächtnis jäh Verstorbener von ihren Angehörigen gesetzt worden sind. Der plötzliche Tod auf der Straße und nicht in einer Herberge läßt jedoch in den meisten Fällen auf einen gewaltsamen Tod schließen, wofür auch die Gebetsformel spricht. Andernteils dürfte ein Totschläger kein Interesse daran gehabt haben, sich auf einem Sühnestein zu verewigen und damit seine Schandtat offensichtlich zu machen. Auch auf dem Greifswalder Rubenow-Stein werden die Totschläger nicht genannt. - Möglich wäre aber auch, daß bei den beiden vorgenannten Wangen die Totschläger nicht ermittelt werden konnten und deshalb Verwandte die Steine errichten ließen. Wie weit also von Sühnemalen oder von Gedächtnissteinen gesprochen werden kann, wird erst entschieden werden können, wenn wir noch Urkunden finden, die darüber Auskunft geben könnten. Doch halte ich nach ihrer Form, Inschrift, usw. die Mordwangen in Bernstorf, Bethke, Everstorf, Gustow, Groß-Klein und Rostock unzweifelhaft für Sühnemale.

Unter den vorerwähnten 18 Mordwangen befinden sich zwei Steine mit abweichender Form, so daß sie H. Ende vorsichtigerweise in der Gesamtheit als Denk- und Sühnesteine bezeichnete. Der eine Stein in Schönberg hat bereits die Form des Steinkreuzes, weist aber wie die Mordwangen das Kruzifix im Oberteil, den Erschlagenen zu Füßen des Kreuzes, das Spruchband mit dem Gebet, eine Inschrift und ein Wappen auf. Es ist der Stein, der vom Sohn des Erschlagenen gesetzt wurde. - Die zweite Ausnahme ist der bereits vorerwähnte Rubenow-Stein, für den Gründer und ersten Rektor der Greifswalder Universität, der als Bürgermeister am AItjahresabend 1461 von politischen Gegnern ermordet wurde. Es ist eine rechteckige Platte, die wie das Steinkreuz alle Merkmale der Mordwangen zeigt. Sie steht in der Greifswalder Marienkirche.

Die bereits erwähnten knaufartigen Ansätze an den Mordwangen, die bearbeitungstechnisch leicht mit der Herausarbeitung der Wangen aus einer Rechtecktafel erklärt werden können, und die ganze Darstellungsweise erinnern an das Steinkreuz von Schloß Ricklingen bei Wunstorf in Niedersachsen, das ja im Kopf ebenfalls eine kleine Kreuzigung zeigt und darunter im Schaft den erschlagenen Herzog Albrecht von Sachsen in Gebetshaltung. Auch die Form des Steines erinnert daran, daß er aus einer rechteckigen Platte herausgearbeitet worden ist. Das betonen auch die vier Medaillons mit den Evangelistensymbolen und die beiden Wappenmedaillons mit dem sächsischen Rautenkranz und den gekreuzten Kurschwertern, sowie der gleich breite Fuß.

Die Evangelistensymbolik in den vermeintlichen Zwickeln des Kreuzes erinnert wiederum an das thüringische Steinkreuz von Oßmannstedt, das im kreisförmigen Nimbus das Kreuz zeigt und daran anschließend vier ohrenförmige Gebilde, die möglicherweise auch auf die Evangelisten hinweisen sollen. Schon aus Glaubensgründen muß bei der einfachen Darstellung mehr an ein christliches Symbol als an ein Flechtwerk gedacht werden, wie es Dr. R. Künstler (†) möchte. Die wesentlichsten Merkmale für ein Flechtwerk fehlen vollkommen: nirgends ist eine Verschlingung zu beobachten: Kreuznimbus und Ohrenmedaillons haben die gleiche Höhe und die den Ring berührenden Kreuzeslinien gehen nicht zu den Ohren durch, sondern setzen sich von ihnen ab.

Beenden wir unseren Exkurs von den Beischlagsteinen zu den Steinkreuzen und ziehen daraus die Schlußfolgerungen, so müssen wir folgendes bedenken:

  1. Auch einfache Bau- und Flurdenkmäler dürfen nicht unbeachtet vom politischen und wirtschaftlichen Geschehen ihrer Entstehungszeit betrachtet werden.

  2. Auch zwischen verschieden gestaltigen Denkmalen einer Zelt gibt es zu beachtende Verbindungen.

  3. Die Form und das Material der Denk- und Sühnesteine und auch der Grabmäler wird von der sozialen Stellung des Gestorbenen oder Getöteten mitbestimmt. Sicher ist auch die Darstellung des Betenden mit umgeschnallter Geldtasche auf den Mordwangen nicht unabsichtlich erfolgt.

  4. Bei mittelalterlichen Denkmalen ist stets die wörtliche Auslegung einer Bibelstelle der theologischen vorzuziehen.

Schrifttum:
H. ENDE: Denk- und Sühnesteine in Mecklenburg, in: Deutscher Kulturbund. Bezirksleitung Schwerin. Komnission Natur und Heimiat. Informationen des Bezirksarbeitskreises für Ur- und Frühgeschichte Schwerin. Nr.13, 1973, S.56-67.
C. A. NORDMAN: Eigenes und Fremdes in der mittelalterlichen Kunst Finnlands, in: Aspekte zur Kunstgeschichte von Mittelalter und Neuzeit. Weimar, 1971, S.223-249.
H. ÜPRUS: Tallinns etikukivid. Tallinn 1971.
TH. MÖLLER: Sühne- und Erinnerungsmale in Schleswig-Holstein, in: Nordelbingen 17/18, Hamburg/Lübeck 1942, S.89-169.
(Steinkreuzforschung, Sammelband Nr.4, 1982, S.30-35)

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