Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze


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Von Breslau Dokumentirte Geschichte und Beschreibung. In Briefen.
Auszug aus dem: Ein und neunzigster Brief.
von Samuel Benjamin Klose, Breslau

Breslau, den 4ten May, 1782.

... Nicht allein die Stadteinwoner trugen damals Schwert und Messer bei sich; sondern auch die Landleute, welche in der Stadt damit, wenn sie zu Markte kamen, viel Unheil anrichteten. Es ging kein Jahr vorbei, da nicht mehrere todt geschlagen wurden. Im Jahr 1390. sind vier Todschläge geschehen. Von dem ersten wurde vor Gerichte sieben Firdung, von dem zweiten Eine Mark und von den beiden letztern eine halbe Mark gezalt; eben so hoch war die Taxe für eine Kampirwunde. Die Freunde das Entleibten vergleichen sich mit dem Todschläger, und die gewönliche Strafe bestand darin; daß der Täter der Frau und den Kindern eine bestimmte Summe Geldes auszalen, Selenmessen für den getödteten lesen lassen, und eine Romfart oder Ochfart thun muste. War der Todschlag auf freiem Felde geschehen; so wurde dem Täter auferlegt ein steinern Kreuz dahin sezzen zu lassen. Sie werden dieses näher aus folgender Urkunde ersehen.

Wir Rathmanne – bekennen, das vor uns in sizen-Rate komen sein, die Erben Bernhard Skal, unser Eidgenosse, Hanns Lettener, Niklas Cromer, Hanns Drewsener und Hanutte an Hanns Hofemans und Vecenc Behme teile, und Nikil Crekewitz, Tristam Pogrell, Mathis Schulz, Heinke Becke und Henzil Schonehals an Sigmunden von Moys teile, und haben becant, das sie einen freundlichen, gutlichen entscheyt und verrichtunge gemacht zwischen den obgenanten zween Teilen, als von des totslagis wegen; der leyder geschen ist von Sigmund von Moys an dem Erbern Peter Hofeman, dem got gnade, nemlichen also, das Hanns Hofeman des toten Bruder sich gemechtigt hat Frauen Osanna des obgestorbenen Peter Hofemans elichen Husfrawen, und dorumme sie eine volkomeliche Verrichtunge uffgenommen haben, und uff solche Verrichtunge sal Sigmund vonMoys sichir Freyheit von In und den Iren haben von Datum diß Brifs obir vierzehn ganze Jahr; bleiben den die zwei Kinder, die noch unmundisch sind, als Nikil und Peter Hofemans Kinder so lange lebend, so sal Sigmund aber das mit Hülfe und Rate guter Freund an den Kindern suchen und In das enfuren noch moglichkeit und Underweisunge erber lute. Also das her dach dese geschreben Busse halden und volbrengen sal. Zum Irsten sal Sigmund von Moys Hanns Hofeman, Vecenz Behemen aller itzlicher Sachen, wo das wendit adir wenden muchte der gerichte und globit sie des zu benemen. Zu dem andern mole sol Sigmund lossen lesen dreißig Zelenmessen in der Kirchen zu sand Mariemagdalenen bei vierzehn Tagen anzuheben. Zu dem dritten mole sal Sigmund geben ein Stein Wachs bynnen eynen Monden. Item so sal Sigmund eine Romfard thun, und die sal her anheben zu thun zwischen hier und fastnacht. Auch sal Sigmund setzen eyn Creuze mit einer Marter an dem Weg ader an die Strasse, dobey sich die Geschicht ergangen haben, dozu sal er tag haben, zischen hier und Michaelis. Actum feria tercia post Sixti1441. (Lib. Signat.)

Wenn Sie damit noch folgende Signatur zusammenhalten; so werden Sie daraus eine volständige Idee von der Art für den verübten Todschlag zu büssen, wie auch von den darüber getroffenen Vergleichen sich machen können; so daß wenn Sie diese beide gelesen, alle andere ungelesen lassen können.

An der Mitwoche nach Reminiscere sein vor kommen Niklas Goler und Jacob Jener an Margarethan Beyerynn Teile, Niklas Thyme, Hanke Ber und Steffan Horner an Langnikels teile und haben becant, das sie eine guetliche verrichtunge geteydingt und gemacht haben zwischen beiden teilen; als nemlich von des Totschlagis wegen, der da an Nikeln Beyer dem Zymmermanne der egenanten Margarethen ehlichen Manne gescheen ist; also mit namen, des Langnikil von solches totslagis wegen eine Ochfart tuen sal, und den Toten sal lossen ynschreiben zu sante Elizabet in das totenbuch. Item dreißig Zelenmeßen lossen lesen. Item einen halben Stein Wachs der Frauen geben. Item zu geben eine halbe Mark Heller zu sante Jacob. Item richtig zu machen umb das Arztgeld und ken Gerichte abezulegen, und wo es hanget und langet. Und dovor haben globt. Vor Langnikeln Dythmar Barbirer, Michil von der Steyne, Cleyne Nikil, Sigeler, Tinczmann, und Niklas Quirichen das das also ufgericht und gehalden sal werden, als oben geschreben stehit, und das domite alle sachen und zuspruche sollen ganz und gar von desselben totslagis wegen hingelegit und entscheiden sein nymmermer zu gedenken; und dobei haben sie gestanden von beiden teilen, Nemlich Niclas Goler und Jacob Jenner in vormundschaft der egenannten Margarethen Beyerynn; die auch selbis kegenwertig dobey stunt, und der vorgenante Langenikel und haben globt den selben entscheid und Richtung stete ganz und unverbrochlichen zu halden und zu volfuren und enander von solcher sachen wegen furbas nymmer anzusprechen geistlich noch wertlich noch in keiner weize. 1442. (Lib. Signat.)

Für einen denkenden Kopf, wie Sie, werden diese interessante Urkunden, besonders die Romfart, das Kreuz mit der Marter und das Totenbuch reichen Stof zu Betrachtungen darbiten. Frau Agnet, Michel Sachwe von Kewlendorf Tochter und Hanns Jeschke von Czechen etwenn ehelich Weib globte dem Abt zu St. Vincenz die Romfart, die Ochfere, und die Fart zum heil. Blute zu thun, die Marter sezzen und 30 Messen lesen zu lassen, 1442. Wenn Sühneleute zwei Parteien mit einander vertrugen, so legte sie die Hand des einen in des anderen hand. Dis taten die Rathmanne, als sie zwischen dem Bischof Konrad und Heinken Cruschina von Leichtemberg die Verrichtung ausgesprochen: als wir sie zu freund machten und In die Hende zusampne goben. (Lib. Signat. 1440.)
Wenn sie etwas globten, so geschah es zuweilen bei ihrem Halse, 1398. Auch in diesem Zeitraum walfarteten nicht allein Mannspersonen; sondern auch Frauenzimmer nach Rom: Wenn man einen Ermordeten auf dem Felde gefunden, und den Täter nicht entdekken konnte; so suchten die, denen das Feld gehörte, die Blutschuld durch eine milde Stiftung auszutilgen. Die Rathmanne zu Neumarkt eigneten der Kirche in Stephansdorf zwei Mark jährlichen Zins auf der Stadt Renten in ihrem und de ganzen Bürgerschaft Namen zu, um einen zufälligen Todschlag dadurch auszusönen, der in Neumarkt an dem Paschco Affenkrey genannt, geschehen war 1333. (Arch. S. Matth.) ...
(Klose, Samuel Benjamin - Von Breslau Dokumentirte Geschichte und Beschreibung. In Briefen. Zweiten Bandes zweiter Theil. Breslau 1781. S. 429-433)

Anmerkung:
Diesen Auszug aus dem Buch "Von Breslau Dokumentirte Geschichte und Beschreibung. In Briefen" ist eines der frühesten und richtigen Nachweise der Errichtungsgründe der mittelalterlichen Sühnekreuze, noch vor dem Schwaben Benedixt Stadelhofer 1787, aber leider wurde dieses Werk von den späteren Steinkreuzforschern außerhalb von Schlesien nicht oder kaum zur Kenntnis genommen. Nur Anton Nägele erwähnt dieses Werk 1912 in der "Zeitschrift des Vereins für Volkskunde" im Artikel "Fragen und Ergebnisse der Kreuzsteinforschung" auf Seite 258 als Fußnote, aber vermutlich hatte er auch nur durch den Artikel von Dr. Hermann Luchs aus dem II. Band "Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift" von 1875, Kenntnis von diesem Werk erhalten. Da er irrtümlich den dritten Band, Teil 2 als Quelle nennt liegt dieser Verdacht nah.
Das anonym erschienene Werk kann eindeutig dem Breslauer Lehrer, Schriftsteller und Bibliothekar Samuel Benjamin Klose zugeordnet werden.
Mit der Veröffentlichung dieses Auszuges wird hoffentlich die lange Phase der Vergessenheit, in der Steinkreuzforschung, von Samuel Benjamin Klose vorbei sein.

Uwe Stößel


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Steinkreuze im Kreise Neumarkt
Von Studienrat Dr. Zmarzly

Ohne Zweifel gehören zu den ältesten uns heute noch erhaltenen kulturgeschichtlichen Denkmälern im Kreise Neumarkt die Steinkreuze. Diese alten, teilweise schon von der Zeit mitgenommen, meist abseits vom heutigen Verkehr, auf Feldmarken oder Wegrainen, an Kirchhofsmauern oder auch Weggabelungen stehenden Steinkreuze waren lange Zeit verkannt, weil man nichts Rechtes mit ihnen anzufangen wußte. Man hat sie als heidnische Überbleibsel angesprochen, sie für Grenz- oder Wegsteine gehalten, als religiöse Wahrzeichen, als Erinnerungsmale für Pest und Krieg, namentlich aus der Hussiten- und Schwedenzeit, als Grabdenkmäler u. a. mehr je nach Lage und Gegend gedeutet, und so war es kein Wunder, wenn sich Sage und Legende über diese eigenartigen Kreuze breitete, wenn der Volksmund sie als verwunschen ansah und damit der Zerstörung und Vernichtung preisgab. Heute wissen wir jedoch dank der Forschung namhafter Gelehrter, wie Frauenstädt, Wilhelm, Hellmich u. a., daß es mit diesen Kreuzen eine andere Bewandtnis hat, daß es Sühnekreuze sind, die uns bis in die Rechtsanschauungen der ältesten Zeit zurückführen.
   Zur Zeit der Volksrechte galt ein Verbrechen, das nicht gegen die Gesamtheit der Volksgenossen gerichtet war, also Raub, Brandstiftung, Mord oder Totschlag, nur als Friedensbruch gegen den Verletzten und seine Sippe, denen innerhalb der Grenzen der ihnen widerfahrenen Rechtsverletzungen gestattet war sich durch die Fehde gegen den Übeltäter und seine Sippe selber Genugtuung zu verschaffen. Bei Mord oder Totschlag konnte das Verbrechen auf zweierlei Art ausgeglichen werden, entweder im Wege der Privatrache oder Blutrache, also der Selbsthilfe, so daß dem Befehdeten und dessen Sippe dasselbe Übel zugefügt wurde, oder im Wege des Sühnevertrages, d.h. eine Abfindung der Sippe, des Getöteten durch eine Buße seitens des Totschlägers, während anderseits die Partei des Klägers durch feierliche Treuversprechen auf jede fernere Verfolgung des Gegners Verzichtete. Erst wenn der Beklagte sich der Buße, d.h. der Sühne entzog, wurde die allgemeine Friedlosigkeit über ihn verhängt, d.h. er wurde aus der Gemeinschaft der Volksgenossen ausgeschlossen und seine Rechtspersönlichkeit völlig aufgehoben. Jeder, der ihn traf, konnte ihn dann wie ein wildes Tier töten. Diese Rechtsanschauung muß man sich vor Augen halten will man den Sinn dieser alten Sühnekreuze eindringen. In den Neumarkter Stadtbüchern besitzen wir noch einige ausgestellte Sühneverträge, in denen die Totschläge mit Geldbuße und Schadenersatz gebüßt werden. So lesen wir vom Jahre 1414 über einen Totschlag "in unsir stat":
"Also das die vorgenannte Niklas Clonicz und franzke slawk haben gegeben und bezahlt Niclosen Croken und Hartmann syme brudir dreyzen mark Groschen und vor den egenannten toslag den sie an Hannosen erim Bruder han begangen.
   Neben die Geldbuße – Wehr- oder Manngeld genannt – traten im Mittelalter auch noch andere Sühnen – (man hat dafür Ausdrücke wie Richtung, Verrichtung, Tagedine, teidinc), – wie Kur- und Verpflegungskosten, da auch die Verwundung mit tödlichem Ausgange zu den Totschlägen zählten, ferner die Begräbniskosten, die Kosten der Mordklage, Zuwendungen zu frommen Zwecken. Seelenmessen, Eintragung in die Totenbücher der Kirche, Buß- oder Bittfahrten- "ochfarten" und schließlich die Errichtung von Sühnekreuzen oder Bildstöcken.
   In zwei Neumarkter Sühneverträgen aus den Jahren 1440 und 1444 werden die Steinkreuze ausdrücklich erwähnt. Das Setzen von Steinkreuzen sollte das Andenken an den Erschlagenen sowie die Untat aufrechterhalten. Vorübergehende sollten dadurch aufgefordert werden, für die Seele des Dahingeschiedenen ein stilles Gebet zu verrichten. Die beiden Sühneverträge lauten:

An der mittewochen nach corporis Christi wir ratmanne zu Newenmarkte bekennen, das vor uns in siczendem rate gestanden haben die erbarn Mathis Meisner, Niclas Conrad, Niclas Cluge, Andres Jekil, Niclas Susze, Hentschil Reichard, Nickil Reichard, Hannus Reichard und Merten Fochs und haben becant, wie sie fruntlichen und lieblichen entricht und endscheiden haben die toguntliche frawe Margith Weissine und juncfrawe Margrith Niclas Weissen tochter an eyme und Jakob Walter von Schonauw am anderen teile als von des totslages wegen , wegen der do begangen ist an Nikel Weissen von Schonauw, dem got gnade, nemelichen also, das Jacob Walter der vorgenannte sal geben den vorgenanten Margrith Weissine und juncfrawen Margrithen N. Weissen tochter, funf marg heller und ein fierdung, das her en auch vor uns gancz und gar bezalet und hat vorgulden uns sal auch ein crewcze setczen by fier wochen; auch globen die vorgenannte frawe Margrith und juncfrawe Margrith Niclas Weissen tochter vor Niclas Weissen unmundischen Kindere, das sie sich auch in die vorrichtunge sullen geben und sullen auch dy vorrichtungstete und gancz halden, wenne sie mundisch werden, ane alle wederrede und eyn teil sal vorbasme das ander umb die sache nummer anlangen nach ansprechen und in keine weise geistlichen und wertlichen.
Actum anno domini 1440.

und:

Wir Ratmanne zu N. bekennen, das geschen ist an der Mitwoche vor Nativitatis, das vor uns sitzenden Rat komen sint die Erben und Woltuchtigen Cunrad Lukow und Jacob Gobil und haben bekannt, das sie eyn volkomene entcheid und vorrichtunge gemacht habin czwischen hanns merkil und petir merkil and math. merkils Kynder der dirslagin ist worden an eyne und allen andirn frunden und lorentz Suszen der denselben todslag an dem obgen. petir merkil begangen hatte am andern teile, also das der obgen. lorenz susze eyne genannte summa geldis dem obgen. hanns merkln gericht und beczahlt hat von disselben totslags wegen. dasselbe gelt her ouch das letzte vor uns gelegete und hanns obegen. Entphing in geldes weise beide von einer ochfart und ouch von eyns halbin steins Wachs awsgenommen eyne marter, die her noch seczen sulde. Die globit her ouch czusetzen czwischen hie und sente Michils tag. Ouch so habin dokegin lorenz sulszen wedir globit der tuchtige Cunrad Lokow und Nikil menzil, das der ehgen. hanns merkil seinen bruder petir dorzu bringen sal, das her ouch mit sampt en globin sal vor ihres bruders unmundische kynder, ab die yemer dirwuchsen und mundisch wurden, das dieselben ouch keyne ansprache noch nachrede von solicher sache wegen ken dem obgen. lorenz und allen den die dorbei vordocht sein sullen habin, dasselbe der ehegen. hanns vor uns von seynes selbis wegen czu voraus globit hat, ob her das nicht tete, so Globit her also vil geldis wedir vor uns zulegen, als her vor uns entphangen hat. domete sullen sie an beiden solch entscheid und vorrichtunge unvorbrochlich und unwiderruflich und hernoch und zu ewigen czeiten halden eyn teil ken dem anderen in arge nymals zugedenken noch in keynerlei Weise vorzuwefen.
A. 1444.

   Zeigen diese Verträge deutlich, daß die geforderten Kreuze Sühnekreuze sind, so lassen sich andere Kreuze durch eingemeißelte Mordwerkzeuge wie Schwert, Messer, Dolch ebenfalls als Sühnekreuze festlegen.*) Im ganzen zählen wir im Kreise Neumarkt 36 Sühnekreuze und 2 Bildstöcke. Das Material ist entweder Sandstein oder Granit. Die Größe ist verschieden. Genaue Maße lassen sich schwer feststellen, da manche Kreuze mit der Zeit teils eingesunken, teils verwittert, teils beschädigt worden sind. Alle Steinkreuze sind einst vierarmig gewesen, bestehen resp. Bestanden aus zwei sich schneidenden Balken. Der Längsbalken ist meist in 2/3 Höhe von einem Querbalken durchbrochen. Teils findet sich der Querbalken heute unmittelbar über der Erde (Zopkendorf) – wahrscheinlich durch Einsinken in die Erde , – teils aber in solcher Höhe, daß alle Symmetrie beseitigt zu sein scheint. Der Längsbalken erreicht bei einzelnen Kreuzen eine Höhe von 190cm, der Querbalken eine Länge von 90cm, die Dicke beträgt 10–40cm. Einige Kreuze zeichnen sich durch Ebenmaß und Gefälligkeit aus, andere sind plump und massig, alle jedoch in der Form so einfach wie nur möglich. Große Steinmetzkunst ist nirgends dabei zu beobachten, sei es, daß man sparen wollte, sei es daß die Werkstatt sie nicht besser liefern konnte; manche haben heute ihr Form als Kreuz eingebüßt, da der eine oder andere Teil fehlt. Bei dem leicht verwitternden Sandstein mag der Zahn der Zeit manche Abbröcklung hervorgerufen haben, manche auf einem Felde stehende Kreuze sind bei der Feldbestellung beschädigt worden, schließlich mag auch der Mutwillen den einem oder anderen Teil abgeschlagen haben. Die granitenen Kreuze sind besser erhalten als die aus Sandstein. Bei vielen sind die Symbole freilich auch nicht mehr sichtbar; Jahrhunderte gehen schließlich nicht vorüber, ohne hier und da auch am Stein etwas abzublättern. Anders kann man sich das Fehlen dieser Zeichen ja kaum erklären.
   Um nun zu den einzelnen Ortschaften überzugehen, so besitzt Neumarkt 3 Steinkreuze, eins an der Liegnitzerstraße, an der Brücke über das Neumarkter Wasser. Das Kreuz hat lange Zeit im angrenzenden Grundstück unter Schutt gelegen und ist erst vor Jahren auf meine Veranlassung an seinem jetzigen Standort aufgestellt worden. Die aus dem Kreuze herausgearbeitete Wulst lässt deutlich auf ein Symbol, also ein Mordwerkzeug schließen. Ein weiteres Kreuz aus Granit steht nordöstlich der Kaltbadeanstalt; die in der Mitte hineingebohrten Löcher zeigen, daß dort einmal ein Täfelchen eingelassen war. Vor einigen Jahren fand ich es am Ackerrand flach auf dem Boden liegend; mit Hilfe einiger Schüler vom Gymnasium habe ich es einige Schritte vom Fundort wieder eingegraben. Das dritte Kreuz Neumarkts befindet sich gegenüber dem Probstei-Kirchlein an der Straßengabelung Schönau-Schöneiche. Als Symbol trägt es gut erkennbar ein Schwert. Bis vor kurzem soll sich auch noch ein Steinkreuz in der Weißgerbergasse befunden haben, das aber bei Pflasterungsarbeiten entfernt worden ist.
Ferner finden sich Steinkreuze
4)

in Göbel, etwa 100 m südlich der Bahnlinie Bruck-Nimkau in der Nähe des Teiches.

5)

in Illnisch im Garten des Gutshofes.

6, 7, 8)

in Jerschendorf auf dem Schulplatz und an der Außenseite der Kirchhofsmauer der Sakristei gegenüber, ein weiteres auf Jerschendorfer Gelände nördlich vom Tschammerwald, ungefähr in der Mitte der Waldgrenze, südlich vom Butterberg. Es ist schon ziemlich tief eingesunken.

9)

in Kertschütz auf dem Wege nach Schriegwitz am Waldrand.

10)

in Keulendorf südlich vom Dorfe an der Wegegabelung Pirschen-Hartau.

11)

in Kobelnick, einige hundert Meter südwestlich von der Försterei Oderdeich entfernt.

12 und 13)

in Kostenblut am Kirchhofseingang mit eingeritztem Schwert und am Anfang der Straße nach Sablath.

14)

in Leuthen auf dem Weg nach Gohlau.

15)

in Maltsch am linken Oderufer bei Buhne 307 an der Stelle, wo sich die Oder aus ihrer Ost-Westrichtung nach Norden wendet.

16)

in Michelsdorf auf dem Wege von Michelsdorf nach Jerschendorf unterhalb der Höhe 147, schon ziemlich tief eingesunken, der Kopfbalken ist jedoch noch gut zu erkennen.

17)

in Obermois in der Kirchhofsmauer. Wir wissen von diesem Kreuz, daß es aus Anlaß eines Mordes gesetzt wurde. Ein Ortsbewohner hatte zu Beginn des 15. Jahrhunderts den Peter Hoffmann erschlagen, wodurch er sich der Blutrache zuzog und flüchten mußte. Schließlich einigte er sich mit den Angehörigen des ermordeten auf eine bestimmte Summe, mußte der Kirche 30 Pfund wachs opfern und eine wallfahrt nach Rom und zurück zum hl. Blute nach Wilsnack (einem im Mittelalter berühmten Wallfahrtsorte im Brandenburg) unternehmen. Die Reise mußte mindestens im der Marterwoche angetreten werden. An der Stelle der Tat sollte das Kreuz gesetzt werden. Sicherlich ist dieses Kreuz aber erst später in die Kirchhofsmauer eingelassen worden. Vielleicht war es dem Ackersmann bei der Feldbestellung unbequem. So finden wir ja gerade an und in Kirchhofsmauern eine große Anzahl Steinkreuze, die früher einen Standort hatten, wo sie weniger geschützt waren.

18 und 19)

in Neudorf am östlichen Dorfausgang und am Steg über den Straßengraben Kanth–Landau.

20)

in Ocklitz am Ausgang des Dorfes.

21 - 25)

in Groß Peterwitz in der Mauer des Gutshofes. Sie standen früher am Hohlweg.

26 und 27)

in Polsnitz auf dem Wege nach Kanth rechts auf der Wiese vor dem Striegauer Wasser und an der Vincenzmühle. Während beim ersten die Kreuzesarme von zwei gebogenen Stützen gehalten werden, zeigt das andere eine gewisse Steinmetzkunst, indem es als Wulst selbst ein Kreuz aufweist.

28 und 29)

in Regnitz in der Nähe des Dorfteiches.

30)

in Schadewinkel im Garten des Gutsbesitzers Casper.

31)

in Schweinitz in der Kirchhofsmauer.

32)

in Tschammendorf vor der Kaiserlinde.

33)

in Tschechen am Dorfausgang nach Jakobsdorf.

34)

in Viehau an der Kirchhofsmauer mit zwei eingemeißelten Messern.

35 und 36)

In Zopkendorf. Beide Kreuze stehen nebeneinander; während das kleiner arg beschädigt ist, ragt das größere 1,60 m hoch empor, am Längs- und an den Seitenbalken abgeschlagen, jedoch noch gut als Kreuz zu erkennen.

   Außer diesen Steinkreuzen finden sich im Kreis Neumarkt noch zwei Bildstöcke. Es sind dies Steinpfeiler, in deren oberen Teil eine Nische eingehauen ist, in der sich ein Kruzifix oder ein Heiligenbild befand. Die Bildstöcke kommen erst in viel späterer Zeit als die Steinkreuze vor, werden sogar in manchen Gegenden noch in der Gegenwart aufgestellt, allerdings mit veränderter Bestimmung. Es ist demnach schwer zu sagen, ob diese beiden Bildstöcke als Sühnedenkmäler zu werten sind, obgleich wir in Schlesien, urkundlich festgelegt, Bildstöcke als Zeugen eines privaten Rechtshandels vorfinden. Ein sehr schönes Exemplar eines Bildstockes findet sich in Keulendorf vor dem Kirchhof, ein weiteres in Polsnitz in der Kirchhofsmauer, schlanker und einfacher gehalten als das erstere.
   Daß sich solch steinerne Zeugen mittelalterlichen rechtes, Zeugen einer verschwundenen oder überlebten Kultur nicht in größerer Zahl erhalten haben, wird ein jeder bedauern, der sich in der heutigen, schnellebigen Zeit noch ein bißchen Idealismus bewahrt hat. Diese Denkmäler, die einst das Volk in rührender Treue und Naivität gesetzt hat zu dem Zwecke, daß sie in ferneren Zeiten künden sollen vom Leben und Denken der Vorfahren, verdienen es, auch heute noch geachtet und gepflegt zu werden. Es bedeutet dies Dienst an der Heimat. Das ist auch der Zweck dieser Zeilen. Sie sollen wenigstens einen kleinen Teil dazu beitragen, in weiteren Kreisen das Interesse an den Steinkreuzen wachzuhalten und zu erneuern, die Liebe zur Heimat zu wecken und zu fördern.

*) Auf anderen in Schlesien vorkommenden Sühnekreuzen finden sich noch andere Werkzeuge wie Beil, Armbrust, Lanze, Sense, Hammer, Spaten, Dreschflegel u.a.m.

(Quelle:
Kreiskalender für den Kreis Neumarkt, 1931)


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Steinkreuze im Kreise Neumarkt - Betrachtung 75 Jahre später
von Uwe Stößel

Dieser Artikel war Veranlassung für mich mal festzustellen welche der Steinkreuze heute noch im Powiat Średzki vorhanden sind, dieses Powiat entspricht in etwa dem alten Kreis Neumarkt (Środa Śląska) vor der Kreisreform von 1932, nur im westlichen Teil des Powiats sind einige Orte aus dem ehemaligen Kreis Striegau (Strzegom) dazugekommen. Die Ortschaften um die Stadt Kanth sind 1932 zum Kreis Breslau gekommen und gehören heute zum Powiat Wrocław, sie sind aber hier auch mit aufgenommen Max Hellmich und auch Walther Steller benutzen für ihre Arbeiten diese Kreiseinteilung vor 1932. Es ergab sich folgendes Bild:
1 und 3) Neumarkt - Środa Śląska:

befindet sich jetzt am östlichen Ortseingang im Kirchhof der Kirche "Narodzenia Najświętszej Maryi Panny" in der "ul. Legnicka", die ehemalige Probsteikirche, Kreuz Nr.3 wird bei Hellmich unter Probstey geführt.

2) Neumarkt - Środa Śląska:

Kreuz ist vorhanden und befindet sich im nördlichen Stadtgebiet, östlich der Straße nach Szczepanów (Stephansdorf)

4) Göbel - Jabłonka:

vermisst

5) Illnisch - Ilnica:

vermisst

6 - 8) Jerschendorf – Jarosław:

Kreuz 6 und 7 vorhanden, Kreuz 8 vermisst, dafür aber Nr.37 ein weiteres Kreuz in der Kirchhofmauer

9) Kertschütz - Karczyce:

vorhanden

10) Keulendorf - Kulin:

vorhanden, das Steinkreuz ist erst 2004 wieder neu gesetzt worden nachdem es von 1993 an zweckentfremdet auf dem Friedhof Breslau-Gräbschen als Grabstein gedient hatte.

11) Kobelnick - Kobylniki:

vermisst

12 - 13) Kostenblut - Kostomłoty:

beide Steinkreuze vorhanden

14) Leuthen - Lutynia:

vorhanden, ein weiteres Steinkreuz Nr.40 vorhanden

15) Maltsch - Malczyce:

vermisst

16) Michelsdorf - Michałów:

vermisst

17) Obermois - Ujazd Górny:

vorhanden

18 - 19) Neudorf - Nowa Wieś Kącka:

Nr.18 vorhanden, Nr. 19 vorhanden in der Literatur auch unter Landau – Kilanów geführt, bei Max Hellmich noch ein weiteres schon 1923 vermisstes Steinkreuz aufgeführt (Nr. 56), Powiat Wrocław

20) Ocklitz - Okulice:

vorhanden, Powiat Wrocław

21 - 25) Groß Peterwitz - Piotrowice:

alle fünf Steinkreuze an angegebener Stelle vorhanden

26 - 27) Polsnitz - Pełcznica:

Steinkreuz 26 vorhanden, Kreuz 27 vermisst, dafür ein weiteres Kreuz Nr. 42 vorhanden, Powiat Wrocław

28 - 29) Regnitz - Rzeczyca:

ein Steinkreuz vorhanden und eins vermisst

30) Schadewinkel - Lipnica:

vorhanden

31) Schweinitz - Świdnica Polska:

vorhanden

32) Tschammendorf - Sambórz:

vorhanden

33) Tschechen - Czechy:

vermisst

34) Viehau - Ujów:

Steinkreuz vorhanden, ein zusätzliches Kreuz Nr. 45

35 und 36) Zopkendorf - Sobkowice:

beide Steinkreuze vorhanden


Weitere, im Artikel nicht aufgezählte, vorhandene Steinkreuze im alten Kreis Neumarkt:
37) Jerschendorf - Jarosław:

eingemauert in der Kirchhofsmauer

38) Kamöse - Chomiąża:

Kreuz vor der Kirchhofsmauer links vom Eingang

39) Kanth - Kąty Wrocławskie:

Powiat Wrocław

40) Leuthen - Lutynia:

dieses Kreuz ist im Kirchturm über dem Eingang eingemauert und ein Kelch ist eingeritzt. Unter der Herrschaft des Grafen Hohenthal wurde die Kirche den Kalvinisten übergeben. Zum Zeichen, dass nun das Abendmahl hier in beiderlei Gestalt gereicht würde setzte man das Kreuz.

41) Peicherwitz - Pichorowice:

mit dem Unterteil in eine Mauer eingemauert, Oberteil steht über der Mauer.

42) Polsnitz - Pełcznica:

Steinkreuzrest mit Schwert als Treppenstufe am Pfarrhaus? Powiat Wrocław.

43) Rackschütz - Rakoszyce:

Am alten Friedhof in der Nähe der Kirche im Ortszentrum.

44) Schönau - Ogrodnica:

45) Viehau - Ujów:

in der Kirchhofsmauer eingemauert.

46 - 48) Weicherau - Wichrów:

drei Steinkreuze in die Friedhofsmauer eingemauert.

49) Zieserwitz - Cesarzowice:

in der Kirchhofsmauer eingemauert.


Steinkreuze aus dem ehemaligen Kreis Striegau (Strzegom):
50) Lohnig Bhf. - Łagiewniki Średzkie:

51) Lüssen - Lusina:

im Dorf, zwischen Brauerei und Kunststraße.

52) Weicherau - Wichrów:

vor der Kirchhofsmauer, aus der Flur von Neuhof – Bogdanów (Kreis Striegau) 2001 nach Weicherau umgesetzt.


Schon in früherer Zeit verschwundene oder ohne genauen Angaben erwähnte Steinkreuze:
53) Breitenau - Brodno (Steller):

54) Dietzdorf - Ciechów (Steller):

55) Lüssen - Lusina:

(vor 1932 Kreis Striegau) in der Nähe von Kreuz 51 (Hellmich 1923).

56) Neudorf - Nowa Wieś Kącka:

verschwunden am Weg nach Kanth (Hellmich 1923), Powiat Wrocław.

57) Neumarkt - Środa Śląska:

in der Weißgerbergasse (Dr. Zmarzly).

58) Schmellwitz - Chmieló:

vermutlich Verwechslung von Steller mit dem vorhandenen Steinkreuz in Schmellwitz – Śmiałowice, Kreis Schweidnitz, beide Kreuze angeblich mit Armbrust (Steller)

   Von den sechsunddreißig, von Dr. Zmarzly, beschrieben Steinkreuze sind acht Stück vermisst, wobei durchaus die Möglichkeit besteht, das einzelne Steinkreuze wieder aufgefunden werden, hierfür gibt es Beispiele aus Schlesien. Hinzu kommen noch dreizehn Dr. Zmarzly nicht bekannte Steinkreuze im alten Kreis Neumarkt und drei Kreuze aus dem ehemaligen Kreis Striegau. Dies ergibt einen Bestand von vierundvierzig Steinkreuzen im ehemaligen Kreis Neumarkt gegenüber siebenundfünfzig b.z.w. achtundfünfzig ehemals vorhandenen Steinkreuzen.
   Ein weiter Bildstock befindet sich zusätzlich, zu den beiden Bildstöcken in Keulendorf - Kulin und Polsnitz - Pełcznica, in Krintsch - Kryniczno.
   Der Kreis Neumarkt hatte nach dem Kreis Schweidnitz die Größte Bestandsdichte an Steinkreuzen in Schlesien. Trotz eines kompletten Bevölkerungsaustausches in Folge des Zweiten Weltkrieges ist der Verlust an Steinkreuzen auch nicht viel größer als in anderen vergleichbaren Gebieten Deutschlands. Alle Steinkreuze in Polen stehen unter Denkmalschutz und werden durch freiwillige Helfer überwacht und gepflegt. Sie sind oder werden in nächster Zeit als Denkmal gekennzeichnet. In Schlesien gibt es eine sehr aktive Vereinigung von Steinkreuzfreunden, die sich sehr verdient gemacht hat bei der Suche nach verschwunden Steinkreuzen und der Pflege und Reparatur der vorhandenen Kleindenkmäler. Wir wünschen diesen Steinkreuzfreunden weiterhin viel Erfolg bei ihrer Arbeit.

Zitierte Literatur:
(Hellmich 1923) = Hellmich, Max: Steinerne Zeugen mittelalterlichen Rechtes in Schlesien. Steinkreuze, Bildstöcke, Staubsäulen, Gerichtstische. Liegnitz 1923
(Steller) = Steller, Walther: Steinkreuze und Erinnerungsmale in Niederschlesien. Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde. Band 34, 1934, S. 154-194

Uwe Stößel (Juni 2006)

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Sühnekreuze & Mordsteine