Steinkreuz-Forscher


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Cristian Frank
Kaufbeuren
(1867-1942)

Max Hellmich
Grünberg
(1867-1937)


Samuel Benjamin Klose
Breslau
(1730-1798)


Erwin Meyer
Gießen


Franz Wilhelm
Wikletitz
(1856-1940)

William Clemens Pfau
Rochlitz
(1862-1946)

Friedrich Mößinger
Darmstadt
(1898 - 1969)

Fred Weinmann
Fischbach
(1908 - 1991)

Gustav Adolf Kuhfahl
Dresden
(1870 - 1938)

Walter Saal
Merseburg
(1913 - 1996)

Max Walter
Amorbach
(1888-1971)

Karl Nahrgang
Frankfurt
(1899-1967)

Heinrich Riebeling
Frankfurt a.M.
(1921 - 1996)

Wilhelm Mattes
Heilbronn
(1884-1960)

Marie Andree-Eysn
Salzburg
(1847-1929)

Eugen Mogk
Döbeln
(1854 - 1939)

Anton Nägele
Schwäbisch Gmünd
(1876 - 1947)

Wilhelm Brockpähler
Dorsten
(1894-1980)

Otto August Müller
Durlach
(1898-1968)



Gerhard Ost
Zöllnitz
(1904-1988)

Hans Schnetzer
Sulzdorf
(1862-1914)

Heinrich Winter

(1898-1964)

Peter Assion
Walldürn
(1941-1994)

Adolf Hoffmann
Hannover
(-)

Max Ernst
Ulm
(1869-1945)

Walter Steller
Breslau
(1895-1971)

Benno Liebers
Eckartsberga
(1892-1962)

Hans Bucka
Rehau
(1913-2003)

Wilhelm Fleischmann
Bad Langensalza
(1919-1992)




Walter von Dreyhausen
Frankfurt / Main
(1913-1990)










Die Steinkreuzforschung
von Bernhard Losch

Schon in einem 1735 in Frankfurt und Leipzig erschienenen Buch über den Johannis-Friedhof in Nürnberg ist vom Steinkreuzbrauch die Rede: „...ein steinern Creutz, dergleichen an diejenige Oerter wo Erschlagene, oder sonst durch die Mörder entleibte Personen gefunden werden, noch heut zu Tag pflegen gesetzet zu werden".

1740 weist ein markgräflich-ansbachischer Hof- und Regierungsrat am Beispiel mehrerer Sühneurkunden auf die rechtliche Bedeutung der bei den Dörfern stehenden Steinkreuze hin. 1785 und 1796 befassen sich zwei sächsische Aufsätze mit Steinkreuzen - nach Gustav Adolf Kuhfahl "höchstwahrscheinlich für die gesamte deutsche und ausländische Steinkreuzforschung überhaupt die erste literarische Erwähnung" - im späteren heißt es: "Geschichte und Überlieferung sagt uns jedesmal, daß dort ein Mensch ermordet sei", während der erstere anhand einiger Sühneverträge auf die Bedeutung als Sühnezeichen für begangenen Totschlag hinweist.

Die Deutung als Rechtsdenkmäler am Beispiel dreier Sühneurkunden vertritt auch Benedikt Stadelhofer in seiner 1787 veröffentlichten Klosterchronik von Rot an der Rot (Biberach), und auf ihn stützt sich Maurus Feyerabend, der 1814 in seinen Jahrbüchern des ehemaligen Reichsstifts Ottenbeuren unter ausdrücklicher Ablehnung der irrigen Deutungen als Mark- und Leichensteine die alten steinernen Kreuze "als öffentliche Denkzeichen einer entweder auf dem Platze, wo sie errichtet waren, oder nicht gar ferne davon verübten Mordthat" erklärt, "welche der Mörder auf Begehren der Familie des Erschlagenen errichten mußte...".

Auf Benedikt Stadelhofer beruft sich 1843 auch August Friedrich von Pauly, der im Sühnevertrag "die geschichtlich bekannte Veranlassung zu den Kreuzen" erblickt; von Pauly nennt auch einige wenige Standorte. An Feyerabend wiederum lehnt sich 1874 Anton Birlinger an, der ebenfalls einige Standorte mitteilt.

Als rechtliche Denkmäler deutet auch ein im ersten Band von Josef Freiherr von Hormayers Taschenbuch für vaterländische Geschichte erschienener Bericht die steinernen Kreuze, ebenfalls unter Hinweis auf mehrere Sühnevertrage.

Über den "Totschlagsvergleich" und die darin geforderte Steinkreuzerrichtung berichtet anhand einer Urkunde Franz Ludwig Baumann in seiner Geschichte des Allgäus und weist im Anschluß daran auf mehrere ihm bekannte Steinkreuze hin.

Verschiedene in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erscheinende Artikel, auch eine Notiz des "ersten sudetendeutschen Steinkreuzforschers" Julius Ernest Födisch, tragen neben abwegigen Deutungsversuchen weiter zur richtigen Erklärung der Steinkreuze bei.


• Sammlung und Deutung

Die eigentliche Steinkreuzforschung setzt mit allenthalben verstärkter Tätigkeit gegen Ende des Jahrhunderts ein; es entstehen die ersten Sammlungen und an diese anschließend lebhafte Diskussionen über die Bedeutung der merkwürdigen Denkmäler; Historische Vereine, Heimatvereine und Staatserlasse nehmen sich der alten Steinkreuze an, und die Lokal- und Tageszeitungen entdecken in ihnen ein mitteilungswürdiges Objekt.

Vor allem in Böhmen stellt sich anhaltender Sammeleifer ein, 1895 beschreibt Michael Urban mehrere Steinkreuze in der Gegend von Eger, Marienbad, Plan und Tachau, 1897 Karl Alberti Steinkreuze im Ascher Bezirk, und 1899 veröffentlicht Franz Wilhelm eine beachtliche Sammlung ebenfalls aus westböhmischem Gebiet. Mit gleichem Eifer wenden sich sächsische Forscher den Steinkreuzen zu, mehr als 100 Standorte verzeichnet 1905 K. Helbig. Eine ganze Anzahl Salzburger Steinkreuze beschreibt 1897 M. Eysn.

Auch in Bayern kommt es zu reger Sammeltätigkeit, besonders die Heimatzeitschrift Deutsche Gaue (Hrg. Christian Frank) veröffentlicht von 1900 an wiederholt Steinkreuzbeiträge, 1903 zum Beispiel eine Untersuchung 68 oberbayerischer Steinkreuze durch Michael Raich. Eine Übersicht über rund 80 Steinkreuze aus dem Allgäu veröffentlicht 1895 J. Groß. Württembergische Steinkreuze, vorwiegend aus dem Nordosten des Landes, bespricht 1904 Friedrich Hertlein.

Die erste größere, wissenschaftlich ausgewertete Bestandsaufnahme legt Anton Naegele 1913 vor mit einer ziemlich vollständigen Übersicht über die Steinkreuze in Oberschwaben und einzelnen Angaben aus ganz Württemberg. In den Jahren 1914 bis 1917 folgt Gustav Adolf Kuhfahl mit einer ebenso umfangreichen Sammlung sächsischer Steinkreuze. Mit Nägeles und Kuhfahls Arbeiten hat die seit der Jahrhundertwende aufgekommene eifrige Sammeltätigkeit vorläufige Höhepunkte erreicht; die Kriegsjahre, die schon die Veröffentlichung der Kuhfahlschen Listen verzögerten, lassen eine deutliche Pause eintreten. Neue reichhaltige Sammlungen bringen die frühen zwanziger Jahre.

Der Aufzeichnung örtlicher Steinkreuzbestände beigegebene oder vorangestellte allgemeine Kommentare nehmen sich meist eingehender als frühere Aufsätze der Frage nach der Bedeutung der steinernen Denkmäler an. Zwei für die Steinkreuzforschung richtungsweisende Abhandlungen waren gegen Ende des Jahrhunderts erschienen, 1881 das Werk von Paul Frauenstädt: "Blutrache und Todtschlagsühne im Deutschen Mittelalter" und die Aufsatzfolge: "Totschlagsühnen im Hochstift Eichstätt" von Otto Rieder 1891/93. Ausführlich schildert der Rechtshistoriker Frauenstädt die Entwicklung von der privatrechtlichen Institution der Blutrache zur öffentlichrechtlichen Strafverfolgung während des Mittelalters und arbeitet die bedeutende Stellung heraus, die dem Sühneverfahren als Übergang in diesem langwierigen Prozeß zukommt, weist auch die rechtshistorischen und juristischen Beziehungen und Verflechtungen zwischen den einzelnen herrschenden Zuständen sorgfältig nach.

Dem Steinkreuzforscher war damit der allgemeine rechts- und kulturgeschichtliche Zusammenhang für die ihn besonders interessierenden Sühneurkunden zugänglich gemacht, und die intensive Analyse der Sühneverfahren nach Totschlag eröffnete ihm das Verständnis für die Entwicklung und die einzelnen Inhalte dieser Rechtsform, im Hinblick auf die Steinkreuznennungen vor allem auch die sorgfältige Behandlung des kirchlichen Bestandteils der Vertragsforderungen mit der üblichen Auflage zur Errichtung eines Sühnemals.

Als praktische Ergänzung zu Frauenstädts Buch kann man Otto Rieders ausführlich kommentierte Sammlung der "Totschlagsühnen im Hochstift Eichstätt" bezeichnen. Sie demonstriert an einzelnen Beispielen die Bedeutung der mittelalterlichen Totschlagsvergleiche und ermöglicht Einblick in das spezielle Verfahren eines geschlossenen Gebietes. Besonders lehrreich ist der von Rieder durchgeführte Vergleich der Eichstätter Sühneverträge mit den von Frauenstädt veröffentlichten schlesischen Urkunden.

Die in der Steinkreuzforschung bisher nur als einzelne Dokumente und nur unter dem Aspekt der Kreuzforderung beachteten Sühneverträge konnten auf Grund dieser Arbeiten den großen Zusammenhang und eine angemessene Einschätzung gewinnen; gerade auch die Sühnemalerrichtung war damit in ihrer Stellung innerhalb des Vertrags und in ihren Voraussetzungen geklärt.

Mit gutem Erfolg, der sich in jahrzehntelang wiederholten Zitierungen ausdrückt, bedient sich M. Eysn 1897 (Über alte Steinkreuze und Kreuzsteine in der Umgebung Salzburgs) der Ausführungen Frauenstädts und Rieders. M. Eysn betont die nachgewiesene Sühnekreuzbedeutung der Steinkreuze - bringt ihrerseits auch weitere Sühneverträge bei - und weist auch ausdrücklich hin auf die Gruppe der jüngeren, nach Ablauf des mittelalterlichen Sühnewesens als einfache Totengedenkzeichen weiter beibehaltenen Steinkreuze.

In seinen seit 1899 zahlreich erschienenen Aufsätzen bekennt sich auch der deutschböhmische Forscher Franz Wilhelm entschieden zur Deutung der Steinkreuze aus den mittelalterlichen Sühneurkunden und ihrem Fortbestehen als Toten-Erinnerungskreuze. Anhand der von ihm allmählich in grosser Zahl zusammengetragenen Urkunden bekräftigt er immer wieder seinen Standpunkt und bekämpft die zahlreich vorhandenen abweichenden Ansichten .

K. Helbigs Versuch, die Steinkreuze im Königreich Sachsen als Grenzzeichen kirchlicher Herrschaftsgebiete zu bestimmen - schon 1891 hatte E. Trauer 40 Steinkreuze im Vogtland als Grenzzeichen des Kirchsprengels Flauen erklärt -, veranlaßt heftige Auseinandersetzungen in der aufstrebenden Steinkreuzforschung der Jahrhundertwende, und trotz spontaner gründlicher Ablehnung kann sich auch in späteren Jahren die Helbigsche Theorie - wenn auch meistens nur in Form der negativen Mitteilung - einen gewissen Einfluß in der Steinkreuzliteratur wahren.

Neben den größeren, die Entwicklung der Forschung bestimmenden Arbeiten geht eine Unzahl weiterer Abhandlungen, Aufsätze und Notizen einher mit einer Fülle verschiedenartiger, oft an volkstümliche Überlieferungen angelehnter Deutungsversuche, von denen ein Großteil in Deutsche Gaue 1908 zusammengestellt ist. Dort gelten, wie später nach der Veröffentlichung Eugen Mogks wieder, zum Beispiel bei Max Walter, die Sühnekreuze nur als "Spezies eines größeren Geschlechtes der Steinkreuze als Marterl für Verunglückte überhaupt".

Die wichtigsten der verbreiteten Meinungen und Hypothesen diskutiert kritisch auch Anton Naegele in seiner 1912 erschienenen grundlegenden Abhandlung, die, auf persönlicher Kenntnis eines größeren Steinkreuzbestandes und eingehenden Literaturstudien beruhend, eine umfassende Übersicht über "Fragen und Ergebnisse" der Steinkreuzforschung leistet. Die gewonnenen Erkenntnisse zusammenfassend, auch über die rechtsgeschichtlichen Beiträge wohl orientiert, hebt Naegele die unzweifelhafte Bedeutung der Steinkreuze als mittelalterliche Sühnemäler hervor neben der Bedeutung einzelner späterer Vertreter als einfache Gedenkzeichen: "Eine historischkritische Behandlung des ausgedehnten Stoffes bahnt über den Schutt von Irrungen und Legenden den Weg zur richtigen Deutung der so viel in Volks- und Gelehrtenkreisen missverstandenen Steinkreuze: "... S ü h n e k r e u z e sind es, errichtet zur Sühne für Totschlag mit Einschluß einiger Fälle bloßer Erinnerung ...", oder wie Naegele an anderer Stelle poetischer formuliert; "Zeugen einer untergegangenen Kulturwelt, menschlicher Rechts- und Sittengeschichte, Zeugen nie endender Konflikte des Menschenlebens ...".

Anton Naegeles allgemeine kritische Untersuchung bedeutet den Höhepunkt der seit Ende des Jahrhunderts lebhaft aufstrebenden Steinkreuzforschungen und stellt, indem sie, alle bisherigen Ergebnisse zusammenfassend, sowohl über Erscheinung als auch Bedeutung der Steinkreuze ein hinlänglich geschlossenes Bild vermittelt, zugleich einen gewissen Abschluß dar.


• Steinkreuz und Totenkult

Eine Neuorientierung, die der gesamten späteren Forschung die Richtung weist, begründet bald darauf Eugen Mogk mit seinem Aufsatz "Der Ursprung der sog. Sühnekreuze", in dem er, ausgehend von bestimmten kulturpsychologischen Leitgedanken, die Steinkreuze als in christliches Gewand gekleidete, direkte Fortsetzung altheidnisch-primitiven Steinkultes deutet: mit beschwingten Formulierungen verschiebt der "Volksseelenkundler" Mogk den Akzent vom Steinkreuz auf den Steinkult.

Die unter den Steinkreuzen vereinzelt nachweisbaren, nicht aus einem Rechtsvertrag hervorgegangenen Unglücks- und Gedächtniskreuze, versteht Mogk nicht mehr als Ablösungsform der Sühnekreuze, sondern sieht in ihnen - bekräftigt durch volkstümliche Überlieferungen - die eigentlichen und ursprünglicheren Vertreter des Steinkreuzbrauches, die den uralten, auf primitivem Totenglauben beruhenden Steinkult fortsetzen. Denn "die Verehrung der Steine als Sitz seelischer Wesen ist über die ganze Erde verbreitet und läßt sich bei den Kulturvölkern bis ins graue Altertum zurückverfolgen''. - "Die Steinsagen sind alle auf einen Ton gestimmt, auf den alten Seelen- und Geisterglauben, der in der Kindheit allen Kulturvölkern Lebensrichtschnur gewesen ist". - Der alte Totenglaube "und der damit verbundene Kult hat sich als Volksglaube und volkstümlicher Brauch bis in die Gegenwart gerettet". Das Sühnekreuz aber gilt Mogk einfach als Sonderform des volkstümlichen Steinkreuzes: "An diesen Volksglauben knüpft auch der Rechtsbrauch an, er gibt dem volkstümlichen Ritus eine Rechtsform und bestimmt unter dem Einfluß christlicher Dogmatik, daß der Mörder dem Erschlagenen ein Sühnekreuz zu setzen und dadurch der ruhelosen Seele einen Ruheplatz zu schaffen und hier für ihr Heil zu beten habe".

In konsequenter Anwendung seiner Grundsätze volkskundlicher Forschungsarbeit läßt Eugen Mogk das Steinkreuz unter seiner Feder zum Zeugnis primitiver Geisteshaltung werden; es kann ihm nicht genügen, den Brauch in seiner zeitlichen Bedingtheit zu sehen und ihm seinen gebührenden Platz einzuräumen, vielmehr berauscht er sich an ihm als einem Produkt der "Volksseele" aus uralten, ursprünglichen, tief gegründeten Schichten; nochmals wiederholt: der Blick gilt nicht mehr dem Steinkreuz, sondern dem Kult, aus dem es hervorgegangen sein soll. Mit kräftigem Ruck wird die Steinkreuzforschung in germanisch-heidnische Zeiten zurückverwiesen.

Einige Jahre später verbreitet Hilmar Kalliefe eine neue Theorie: die alten Steinkreuze wurden zur Verchristlichung germanischen Gottheiten geweihter, heiliger Plätze errichtet und sind dadurch greifbare Zeugnisse des heidnisch-germanischen "Götterkultus". Kalliefes unsachliche Behauptungen mögen im einzelnen hier verschwiegen werden; überhaupt kommt seine Produktion nur zu Wort, da sie, Hand in Hand mit Mogkschen Gedankengängen, auf die Steinkreuzforschung im Verlauf der weiteren Entwicklung einen weittragenden und unglückseligen Einfluß gewann.

Die Arbeiten der zwanziger Jahre sind, abgesehen von ihren erfreulichen Sammelleistungen, in ihren allgemeinen Ausführungen bereits deutlich von diesem Einfluß gefärbt, der sich im ganzen gesehen zunächst in einer gewissen Unsicherheit auswirkt: die belegbaren Ergebnisse wollen nicht mehr genügen, und doch wagt man noch nicht, sich ganz über sie hinwegzusetzen und bedingungslos eine ältere, d.h. vorchristliche Herkunft der Steinkreuze zu befürworten. Gewissermaßen unwillig gegenüber der Erklärung als Sühnekreuze verhält sich Max Walter in seinem vor allem wegen der - von Hans Schnetzer abhängigen - formalen Entwicklungstheorie " Vom Steinkreuz zum Bildstock" vielbeachteten und vielkritisierten Beitrag zur badischen Steinkreuzforschung 1923. Den weitaus größten Teil der Steinkreuze hält Max Walter für Unglückskreuze - "Das Unglück ist zahlreicher als der Mord" - und findet ihren Ursprung als Totenmale mit Mogk "im Seelenglauben unserer Altvordern". Wie Max Walter betont, sind die Steinkreuze "Denkmale des religiösen Kultes... und als solche reichen sie zurück bis in die Zeiten altgermanischer Glaubens-Übung".

Auch in Otto August Müllers beachtenswertem Aufsatz "Steinkreuze in der Umgebung von Bühl mit einem Anhang über die Steinkreuzforschung" (1927) ist der neue Einfluß zu spüren, der über die gesicherten, von Anton Naegele zusammengefaßten Ergebnisse hinaus nach älteren Zusammenhängen zurückstrebt.

Einzig Max Hellmich vertritt, Frauenstädts Ausführungen folgend, in der Einleitung zu seiner bedeutenden Sammlung schlesischer Steinkreuze (1923) unbeirrt die Sühne-Deutung, findet gerade darin aber wenige Anhänger.

Drastisch demonstriert den durch Mogk und Kalliefe in der Steinkreuzforschung verursachten Zwiespalt das bekannte Buch: "Die alten Steinkreuze in Sachsen" von Gustav Adolf Kuhfahl (1928). Vergebens sucht man in diesem Buch einen entschiedenen Standpunkt des namhaften europäischen Steinkreuzforschers. Mit größter Behutsamkeit führt Kuhfahl den Leser in das "Steinkreuzproblem" (Untertitel) ein. Bei aller Bemühung, das Steinkreuz als Problem zu sehen, kann sich Kuhfahl den Ergebnissen kritischer Steinkreuzforschung jedoch nicht gänzlich verschließen, und so entsteht das dem Buch eigene dauernde Schwanken zwischen Mittelalter und grauer Vorzeit.

Als "unzweifelhaftes" Fazit stellt Kuhfahl schließlich fettgedruckt heraus, "daß im letzten Zeitabschnitt der Steinkreuzsitte, also in den Jahren zwischen 1300 und 1600, der Hauptgrund für die Errichtung von Steinkreuzen im Sühnebrauch nach germanischem Recht zu suchen ist".

Insgesamt neigt Kuhfahl, von Mogk und Kailiefe inspiriert, mehr zu einer Zurückverlegung der meisten Steinkreuze in die germanische Zeit, muß sich aber, um dieser Sympathie mit der Vorzeit Ausdruck zu verschaffen, mit Andeutungen, Vermutungen und dergleichen behelfen, die das ganze, prächtig aufgemachte, den Leser so ansprechende Buch charakterisieren.

Unter anderem heißt es in der Einleitung: "Spärlich und unsicher fließen die Quellen, die uns über die frühere Besiedlung unseres Vaterlandes, oder über Urheimat und Abstammung unserer germanischen Altvorderen, sowie auch über Götterlehre und Sitte, über Lebensweise und Bildungsgrad der einzelnen weitzerstreuten Stämme Auskunft geben könnten". Die Steinkreuze werden im Verlauf dieser Einleitung betitelt als "... das eine handhafte Überbleibsel aus grauer Vorzeit ... jenes geheimnisvolle Erbstück ... ", und abschließend heißt es: "Angesichts der weitzerstreuten Steinkreuzfunde ... steht man also noch heute vor einem ungelösten Rätsel".

Selbst die widersinnigen Konstruktionen Kalliefes müssen bei diesem bedingungslosen Hang zum Alten beachtenswert, ja "überzeugend" erscheinen. Es hat zu weiterer Unsicherheit in der Steinkreuzforschung beigetragen, daß gerade ein äußerlich so anspruchsvolles Buch aus so berufener Hand im Grunde genommen alle Fragen offen läßt und eine so schwankende, ausweichende und vieldeutige Haltung einnimmt.

In dieser zwiespältigen Lage der Steinkreuzforschung tritt neuerlich Eugen Mogk auf den Plan (1929) mit einer überarbeiteten Veröffentlichung seiner früheren Schrift über den Ursprung der Sühnekreuze. Nach einer einleitenden Übersicht über die mittelalterliche Totschlagsühne und ihre Kreuzforderungen entwickelt Mogk seine Ansicht von dem viel umfassenderen, auch zeitlich früheren volkstümlichen Steinkreuzbrauch als christlich gewandete Fortsetzung des auf primitivem Totenglauben beruhenden germanischen Steinkultes. Die Sühnekreuze sind nur eine zeitgebundene, mit der Einführung des Seelgerätes in den Sühnevertrag aufgekommene Sondergruppe des "volkstümlichen" steinernen Kreuzes. - "Hier löst nur geschichtliche Betrachtung und Eindringen in die Volksseele das Rätsel".

In der seinem früheren Artikel hinzugefügten Erweiterung sieht sich Mogk zunächst veranlaßt, Kalliefes unhaltbare Behauptungen zu kritisieren, auch hier kann Mogk sein totenkultisches Prinzip zur Geltung bringen, worauf er, ausgehend von einer einem Bußbuch der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert entnommenen Notiz über kultische Bräuche an Kreuzwegen, seine bekannte Kreuzwegtheorie aufstellt: "Wie bei vielen anderen Völkern ist auch bei den Germanen der Kreuzwegglaube und -kult auf alten Totenglauben und Totenkult eingestellt. Und setzte man nach alten und jungen Zeugnissen die Steinkreuze an Scheidewege oder in deren Nähe, so müssen auch diese in altem Totenglauben und Totenkult wurzeln...".


• Ideologischer Einfluß

War Eugen Mogk schon nach der Veröffentlichung seiner ersten Steinkreuzschrift meistzitierter Steinkreuz-Autor, so erringt er sich jetzt - begünstigt durcn Kuhfahls Neutralität - die absolute Führung in der Steinkreuzliteratur. Es gibt kaum eine spätere Abhandlung, in der Mogk nicht merklich nachwirkt; daneben behauptet auch immer noch Kalliefe das Feld, und beide Verfasser erhalten in der nun anbrechenden Zeit des Nationalsozialismus eine bedenkliche Aufwertung. In dieser von der "Volksideologie" bestimmten Epoche werden Kuhfahls germanische Vermutungen bei vielen Steinkreuzforschern zur "Gewißheit"; wenige nur halten sich unbeirrt und kritisch an die wirklich nachweisbaren Ergebnisse, und einzelne bleiben weiterhin unsicher abwartend.

Die von Eugen Mogk schon früher angebahnte und aufs neue beförderte Wendung vom Steinkreuzbrauch zum älteren Kult formuliert 1933 Leonhard Wittmann als die eigentliche Aufgabe der Steinkreuzforschung: "Wir sehen, daß sich der alte Gedanke wie ein roter Faden durch die ganze Symbolik der Steinkreuze und des Steinkultes hindurchzieht! Er ist nur in den Einzelheiten noch nicht vollends geklärt, aber diese Klärung herbeizuführen, ist ja die Aufgabe der Steinkreuzforschung und sie wird auch imstande sein, hier mit der Zeit volle Klarheit zu bringen".

Während Leonhard Wittmann die mittelalterliche Sühnekreuzbedeutung grundsätzlich anerkennt will sie W. Kunze nur noch in beschränktem Umfang gelten lassen und ist der Meinung, daß "der größere Hundertsatz" der Steinkreuze der "germanischen Urväterzeit" angehört. Einleitend weist Kunze auf den Zweck seines Artikels über die "nordischen Steinkreuze" hin: "Sie wurden bisher als Mord- oder Sühnemale bezeichnet. Heute wird versucht, das uralte Rätsel anders zu lösen. Ein Beitrag dazu wollen die folgenden Ausführungen sein".

Völlig von der Sühnelehre emanzipiert sich der Kailiefe-Nachfolger Benno Liebers (Unsere Steinkreuze - Germanische Kultstätten? 1935): die Steinkreuze sind "keine christlichen Kreuze, sondern altgermanische Göttermale".

Von den Bestrebungen der Zeit beeinflußt zeigt sich in einzelnen Wendungen auch der badische Steinkreuzforscher Otto August Müller, der 1936 (Steinkreuze in der Umgebung von Bühl) hervorhebt, daß das mindestens frühmittelalterliche Steinkreuz "nach einzelnen Zeugnissen und Vermutungen die Brücke schlägt zur Germanenzeit, aus der vielleicht eine dem Kreuz ähnliche Form übernommen wurde (nicht nur der Brauch)", und der 1938 (Bestandsaufnahme) zusammenfassend über die Steinkreuze urteilt: "daß es nicht nur a l t e Totenmale sind, sondern u r a l t e, daß ihre Anfänge weit in die vorchristliche Zeit reichen, daß sie wohl kommen aus der Vorstellungswelt und dem Brauchtum unserer Vorfahren in der Germanenzeit".

Doch scheinen diese Sätze, mit anderen zeitgenössischen Formulierungen verglichen, noch vorsichtig gehalten, und auch über die Bedeutung der Steinkreuze als Sühnekreuze setzt sich O.A. Müller keineswegs hinweg; im ganzen gesehen vermeidet er, wie einige andere Steinkreuzsammler dieser Zeit auch, einfach eine entschiedene Stellungnahme: "Die Wissenschaft ist sich noch nicht restlos klar darüber, was der ursprüngliche Sinn ihres Seins ist, welches Alter sie haben, und vor allem auch, wie alt der Brauch, Steinkreuze zu setzen, ist".

Zurückhaltend äußert sich auch der niedersächsische Steinkreuzforscher Adolf Hoffmann: "Über diese Zurückweisung der spät mittelalterlichen Kreuzsteine in die Urzeit des Germanentums ist zur Zeit ein abschließendes Urteil nicht möglich". Solange keine anderen Nachweise zur Verfügung stehen, meint Hoffmann, "werden die meisten der Denkmale ... als Mord- oder Sühnesteine anzusehen sein" mit ihrer Weiterentwicklung zu reinen Erinnerungszeichen. Ganze Anerkennung findet Mogks Herleitung des volkstümlichen Brauches aus vorchristlichem Glaubensgut.

In der vom "Verein zur Erforschung der Steinkreuze in Bayern" seit 1933 herausgegebenen Schriftenreihe "Das Steinkreuz" wird zwar wiederholt und eindrücklich auf die geschichtliche Funktion der Steinkreuze als mittelalterliche Sühnemäler hingewiesen und gerade in dieser Hinsicht eine Fülle archivalischer Beiträge herangeführt, doch wird, wiederum in Anlehnung an Mogks Gedankengänge, besonderer Wert auf die Betonung älterer Zusammenhänge gelegt.

In Mogks Gefolge steht auch Max Ernst: das Sühnekreuz ist die christlich geformte Weiterführung des vorchristlichen Totensteines, reicht jedoch selbst nicht in vorchristliche Zeit hinein. Nicht über die christliche Zeit zurück verlegt auch Friedrich Mößinger das Aufkommen der Steinkreuze. Das "Geheimnis der Steine" scheint ihm noch nicht völlig "enträtselt" zu sein.

Ähnlich meint der böhmische Steinkreuzforscher Walter von Dreyhausen in Konzession an die Bestrebungen der Zeit: "Die Steinkreuzforschung steht, soweit sie die ursprüngliche Deutung der gesamten Steinkreuzzahl sucht, immer noch am Beginn. Noch keine Lehre vermochte in diesem Sinne in völlig einwandfreier Weise den geheimnisvollen Schleier ihrer Bedeutung zu lüften". Dreyhausen fährt fort: "Als maßgebendste Ansicht gilt die heute von allen bedeutenden Forschern gebilligte Sühnelehre" und stellt sich im folgenden auch auf die Seite dieser Forschungsrichtung. Besonders beachtlich scheint ihm Mogks Herleitung der Steinkreuze aus dem germanischen Totenkult.

Unerschüttert bekennt sich 1931 Max Hellmich (Zeugen mittelalterlichen Rechtes) zu seiner früher schon geäußerten Ansicht von der einzig richtigen Deutung der meisten Steinkreuze aus den mittelalterlichen Sühneverträgen und macht ausdrücklich geltend, daß der Steinkreuzbrauch "nicht so sehr alt ist, wie einige Phantasten annehmen, die ihn gerne bis in die heidnische Zeit zurückverlegen möchten".

Im Anschluß an einen Briefwechsel mit Eugen Mogk veröffentlicht Max Hellmich 1934 einen weiteren Aufsatz unter dem Titel: "Der Ursprung der mittelalterlichen Sühnekreuze" und hebt darin aufs neue die mittelalterliche Herkunft der Steinkreuze als Sühnemäler hervor sowie ihre spätere teilweise Beibehaltung als Gedenkkreuze, anerkennt nun aber auch grundsätzlich den von Mogk herausgearbeiteten inneren Zusammenhang des mittelalterlichen Steinkreuzbrauchs mit älterem Steinkult. Ausdrücklich wendet sich Hellmich aber gegen Mogks Annahme einer allgemeinen Totengedenkfunktion der Steinkreuze vor ihrem Aufkommen als Sühnekreuze.

Bei der Bedeutung des Steinkreuzes als Sühnekreuz und seiner späteren Wandlung zum Erinnerungsmal bleibt auch Walther Steller, der Hellmichs Steinkreuzsammlungen für Niederschlesien erweitert. In der "germanischen Gepflogenheit, Erinnerungsmale zu setzen", sieht Steller nicht mehr als eine "Vorbereitung", eine "Bewußtseinsgrundlage" für den christlichen Sühnekreuzbrauch. Max Hellmich und Walther Steller haben auch in der Zeit der übertriebenen Germanenbegeisterung den soliden Boden einer sachlichen Forschung nicht verlassen und sich entschieden für die nachweisbaren Erkenntnisse über die Herkunft der Steinkreuze eingesetzt. Eine ganze Anzahl von Forschern aber hat einen festen Standpunkt überhaupt nicht bezogen und damit den übereifrig ausgerufenen germanischen Spekulationen weitgehend Vorschub geleistet. Die ideologischen Verirrungen erreichten auch in der Steinkreuzforschung ein beträchtliches Ausmaß und wirken noch weiter, obwohl sie im Rahmen der Forschung längst überwunden sind.


• Neuere Forschungen

Die verstärkte Aufmerksamkeit, die man in den dreißiger Jahren den Steinkreuzen zuwendet, zeigt sich auch in einer erfolgreichen Sammeltätigkeit. 1932 begründet Leonhard Wittmann in Nürnberg den "Verein zur Erforschung der Steinkreuze in Bayern" (seit 1938 umbenannt in "Deutsche Steinkreuzforschung"), der sich mit großer Aktivität um die Sammlung und Erhaltung bayerischer Steinkreuze bemüht. Die von der Arbeitsgemeinschaft herausgegebene Zeitschrift "Das Steinkreuz" berichtet eingehend über heimatliche Flurdenkmäler.

An größeren Bestandsaufnahmen aus jener Zeit sind vor allem hervorzuheben Max Hellmichs Ergänzungen seiner früheren Sammlung schlesischer Steinkreuze und Walther Stellers niederschlesischer Zusatz, die Sammlung niedersächsischer Steinkreuze und Kreuzsteine von Adolf Hoffmann, Friedrich Mößingers Beschreibung der "Steinkreuze zwischen Rhein, Main und Neckar" sowie besonders Otto August Müllers "Bestandsaufnahme der Steinkreuze in Mittelbaden" und die Zusammenstellung der Steinkreuze in Böhmen und im Sudetengau durch Walter von Dreyhausen, auch die Sammlung "Sühne- und Erinnerungsmale in Schleswig-Holstein" von Theodor Möller.

Die in der Nachkriegszeit zögernd wieder einsetzenden Arbeiten kennzeichnet ein ernsthaftes Bemühen um die Frage nach der Herkunft der Steinkreuze, wobei ihre mittelalterliche Entstehungszeit kaum mehr angezweifelt wird, wohl aber mit auffallender Hartnäckigkeit die seit Eugen Mogk unumgängliche Erörterung älterer Zusammenhänge einen gewichtigen Raum einnimmt.

In einem Artikel der "Breslauer Nachrichten" nimmt Walther Steller das Thema "Schlesische Sühnekreuze" wieder auf und äußert, in dieser Hinsicht unbelastet durch die Vergangenheit, seine Meinung zum Steinkreuzbrauch: er ist entstanden aus den vertraglichen Forderungen der mittelalterlichen Totschlagsühne und ist, nach deren Ablauf, als Totengedenkbrauch beibehalten worden. Zum "heidnischen Brauch der Steinsetzung" existiert "keine unmittelbare Verbindung", höchstens - Stellers frühere Prägung - eine "Bewußtseinsgrundlage" für die christliche Zeit ist anzunehmen.

Der Rechtshistoriker Karl Fröhlich veröffentlicht 1950 einen Aufsatz unter dem beliebten Titel: "Das Rätsel der Steinkreuze". Er stellt vor allem die "Verknüpfung" der Steinkreuze mit "dem Totenglauben und Totenkult unserer Vorfahren" heraus - die bekannte Mogksche These - und fährt fort: "Möglicherweise sind auch schon zu heidnischer Zeit Stein- oder Holzkreuze gewählt worden, doch ist volle Klarheit hierüber nicht zu erzielen". Von den Menhiren aus sind nach Frölich "die Verbindungsfäden zur Sitte der späteren Steinkreuzsetzung zu ziehen" - "einzelne Dunkelheiten" in Kauf genommen. Frölich behauptet sodann - stets in Entlehnung von Mogk - die frühchristliche Existenz von Steinkreuzen als Totengedenkkreuze, an die er den mittelalterlichen Sühnekreuzbrauch anschließt: "Die Bedeutung der Kreuze ist dabei die gleiche, wie die der schon früher üblichen Totenkreuze ... Der Unterschied besteht nur darin, daß die Verpflichtung zur Errichtung des Kreuzes vertraglich auf den Täter abgewälzt wurde". Nach dem Absterben des Sühnekreuzbrauches hielten sich die Steinkreuze als, jetzt wiederum von den Angehörigen errichtete Erinnerungsmale für plötzlich Umgekommene. Schließlich untersucht Frölich mögliche Funktionen der Steinkreuze als Grenzkreuze, Richtplatz-Kreuze, Stadtmarkungskreuze, Wegweiserkreuze, denen neben den Sühnekreuzen aber, wie Frölich zeigt, nur untergeordnete Bedeutung zukommen kann.

Im östlichen Teil Deutschlands finden die Steinkreuze mehrfach Beachtung. Hervorzuheben ist die Sammlung thüringischer Steinkreuze von Heinz Köber. Für die Erklärung der Steinkreuze als Sühnekreuze und spätere Erinnerungskreuze tritt Lothar Schott in der 1957 in Potsdam erschienenen Untersuchung "Totschlagsühne und Steinkreuzerrichtung" ein. Schott stellt zusammenfassend fest: "Die Steinkreuze sind in großer Mehrzahl Rechtsaltertümer aus der Feudalzeit. Sie fallen unter das Seelgerät, das in allen mittelalterlichen Sühneurkunden verlangt wird".

Eine in Form und Gehalt vortreffliche Arbeit veröffentlicht 1963 Wilhelm Brockpähler: "Steinkreuze in Westfalen", die sowohl Bestandsaufnahme als auch allgemeine Abhandlung in jeweils sorgfältigster Ausführung enthält. Die "Fragen und Ergebnisse" der Steinkreuzforschung werden neu zusammengestellt und unter zahlreichen Literaturhinweisen kritisch diskutiert. Damit findet die Steinkreuzforschung nach langen Jahren entweder zu enger Blickrichtung, völliger Unsicherheit oder einseitiger Behauptung und ungeprüfter Verallgemeinerung eine offene wissenschaftliche Darlegung nach allen Seiten hin.

Auch Brockpähler stellt fest, daß die Mehrzahl der Steinkreuze als mittelalterliche Sühnezeichen zu betrachten sind, und nach Ablauf der Totschlagsühnen das Steinkreuz als Erinnerungskreuz beibehalten wurde; daneben untersucht er etwaige andere Funktionen der Steinkreuze, zum Beispiel als Pestkreuze, Bonifatiuskreuze, Predigtkreuze, Gerichtskreuze und vor allem Grenzkreuze, denen insgesamt aber unter den einfachen Steinkreuzen keine besondere Bedeutung zugemessen werden kann.

Stets führen die Betrachtungen vom Steinkreuz auf die bedeutende Funktion, die dem Kreuz schlechthin in der Vergangenheit zukommt; besonders bei der Frage nach "Alter und Ursprung" der Steinkreuze wird auf die vielfältigen Kreuznachweise lange vor der Sühnekreuzzeit hingewiesen; doch stellt Brockpähler klar heraus, daß die Art solcher früh genannten Kreuze nicht eindeutig zu bestimmen ist und ungewiß bleibt, ob das Steinkreuz auch vor dem Sühnekreuzbrauch schon in größerer Verbreitung vorhanden war.

Als Totenmal steht das Steinkreuz in einer großen totenkultischen Tradition, es führt "einen uralten Brauch aus heidnischer Vorzeit weiter". Damit hebt schließlich auch Brockpähler "die innere Verwandtschaft des Steinkreuzbrauches mit dem vorchristlichen Steinkult" hervor.

Ganz auf die Sache als solche besinnt sich Walter Saal in seinem Aufsatz über das "Alter der mitteldeutschen Steinkreuze". Er verweist auf die mittelalterliche und spätere Entstehungszeit der Steinkreuze und lehnt die Versuche, eine ältere Herkunft oder einen unmittelbaren Zusammenhang mit älteren Steinmalen festzustellen, ab.

Im Gegensatz dazu betont diesen Zusammenhang zwischen Steinkreuz und älteren Steinsetzungen wiederholt und gerade in jüngster Zeit Leonhard Wittmann; er sieht, wie früher schon, in der Aufhellung älterer Beziehungen die eigentliche Aufgabe der Steinkreuzforschung.


• Zusammenfassung

Die zuletzt genannten Autoren vertreten die drei verschiedenen Aspekte der heutigen Steinkreuzforschung: die zwischen mittelalterlicher Steinkreuzsitte und älterem Steinkult vermittelnde Haltung, den ganz auf den mittelalterlichen Rechtsbrauch ausgerichteten Standpunkt und die vor allem der Vorgeschichte der Steinkreuzsitte zugewandte Perspektive.

Doch besteht Übereinstimmung in der Deutung der Steinkreuze als mittelalterliche Sühnekreuze und den Rechtsbrauch fortsetzende Erinnerungskreuze, nur der Schwerpunkt der Forschungsarbeit wird ungleich verteilt. Die verschiedenen Blickrichtungen erwachsen aus der Entwicklung der Steinkreuzforschung und stellen sich dar als Erbe und Weiterführung der langjährigen Auseinandersetzungen um den eigentlichen Sinn der kleinen Denkmäler.

Den großen Gang der Steinkreuzforschung kennzeichnet ein beständiges Festhalten an der richtigen Deutung der Kreuze als mittelalterliche Sühnekreuze. Einen Höhepunkt finden die seit der Jahrhundertwende eifrig vorangetriebenen Arbeiten in Anton Naegeles kritischer Überschau. Seit Eugen Mogks "Rückbesinnung" werden die Forschungsergebnisse, die eine mittelalterliche Entstehungszeit der Steinkreuze ausweisen, als unzureichend betrachtet; die Bemühungen um die Herstellung von Verbindungslinien zur früh-, ja vorchristlichen Zeit gewinnen über einen längeren Zeitraum ein erdrückendes Übergewicht, und bis heute wird die Kontinuitätsfrage mit besonderer Vorliebe erörtert.

Die oben charakterisierten, von Eugen Mogk vorgetragenen Gedanken prägen alle späteren Arbeiten zur Steinkreuzforschung. Auch jüngere Untersuchungen kommen nicht los von der Projizierung vorgeschichtlicher Steinsetzungen auf die Steinkreuzsitte und dem Bestreben, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Steinkreuz und vorgeschichtlichem Steinmal zu konstatieren. Auch bei klarer Anerkennung der mittelalterlichen Entstehung der Steinkreuze und ihrer Bedeutung als Sühne- und Erinnerungskreuze wird immer wieder der Herleitungsversuch aus vorchristlichen Steinsetzungen unternommen oder wenigstens zur Diskussion gestellt.

Nun soll nicht vergessen werden, daß Eugen Mogks Betrachtungsweise und die in seinem Geist bis heute fortgeführten Erörterungen eine großartige Blickerweiterung ermöglicht und ein allgemeineres, in gewissem Sinn "organisches" Verständnis für die mittelalterliche Steinkreuzsitte eröffnet haben. Man lernte das einzelne Steinkreuz als Vertreter einer zeitlosen Idee neu würdigen, und die Hinweise auf ähnliche Steinsetzungen in früherer Zeit haben das Gesamtinteresse für die mittelalterlichen Steinkreuze erheblich gesteigert.

Doch verleitet die rückwärts gewandte Betrachtungsweise allzu leicht zu vorschnellen Behauptungen von lückenloser Kontinuität, die in Wirklichkeit nicht nachgewiesen ist. Auch lenkt der Blick in vorgeschichtliche Epochen allzu leicht von der wirklichen Entstehungszeit der Steinkreuze ab und läßt die gegebenen Bedingungen übersehen. Man muß sich klar darüber sein, daß den Steinkreuzforscher, der die alten Steinmale draußen in der Landschaft auf sich wirken läßt, das viel gepriesene "vorzeitliche Erbe" der Steinkreuze einfach fasziniert und er darüber leicht einen sachlichen und kritischen Standpunkt verliert. Vor allem dilettantische Sammler sind dieser Begeisterung durch das "Uralte" ausgeliefert.

Vielleicht wurde die Neuorientierung vom Steinkreuz weg auf den als zugrunde liegend herausgestellten Kult, also die angestrebte Gesamtwürdigung der Steinsetzungen auch darum so begierig aufgenommen, weil die mittelalterliche Steinkreuzsitte im einzelnen nicht ausführlich genug untersucht und bekannt gemacht worden war. Zwar fehlte es nicht an der allgemeinen und grundlegenden Kenntnis des mittelalterlichen Totschlagsühnewesens und der Sühneverträge mit Kreuz-Forderungen, aber eine intensive Vergegenwärtigung des spätmittelalterlichen Rechts- und Kirchenlebens und ein daraus erwachsendes kulturgeschichtliches Verständnis des Sühnewesens muß doch vermißt werden.

Viele Steinkreuzforscher beurteilen die erarbeiteten Leistungen zu optimistisch, wenn sie meinen, die mittelalterliche Entstehungsgeschichte der Steinkreuze sei ausführlich genug untersucht und bedürfe daher keiner neuen Betrachtung. Sie verschließen sich damit einer der wichtigsten Aufgaben der Steinkreuzforschung. Denn in Wirklichkeit sind viele und entscheidende Fragen zum mittelalterlichen Brauch der Sühnemal-Errichtung bis heute unerforscht geblieben; gerade von der Bearbeitung dieser Fragen aber hätte die Steinkreuzforschung wesentliche Aufschlüsse zu erwarten.
(Losch, Bernhard - Steinkreuze in Südwestdeutschland,1968, S.65-85)


Sühnekreuze & Mordsteine