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Max Ernst
Am 27. November 1945 starb ein Mann, der sich um die Erforschung der Ulmer Geschichte die größten Verdienste
erworben hat, Max Ernst. Er entstammte einer schwäbischen Familie, die eine auffallende Neigung zur Geschichtsforschung zeigt: Viktor Ernst, der Meister
der württembergischen Oberamtsbeschreibungen, war sein Vetter; dessen Sohn ist der bekannte Geschichtsprofessor Dr. Fritz Ernst in Heidelberg, und in jüngster
Zeit hat sich Max Ernsts Bruder Richard um die mittelalterliche Geschichte von Kißlegg verdient gemacht.
Geboren ist Max Ernst am 19. November 1869 in Winnenden. Sein Vater wurde 1870 als Stadtpfarrer nach Ulm versetzt, und so wurde
Ulm die Heimat der Familie. Nachden er das Ulmer Gymnasium durchlaufen hatte, studierte Max Ernst in Tübingen, Berlin und Leipzig Rechtswissenschaft. Als er
bei Brunner in Berlin Rechtsgeschichte hörte, ahnte er nicht, wie stark er sich später in eigenen Forschungen mit rechtsgeschichtlichen Fragen beschäftigen sollte.
Er verbrachte seine Referendarjahre in Ulm, war dann einige Jahre bei der Staatsanwaltschaft in Heilbronn und Stuttgart tätig und kehrte 1906 endgültig nach Ulm zurück.
Als Landrichter, Staatsanwalt, dann in schwierigen Nachkriegsjahren von 1923 bis zu seiner Zurruhesetzung 1934 als Oberstaatsanwalt widmete er sich aufrecht und
tatkräftig der Pflege des Rechts.
Neben seiner Berufsarbeit vertiefte er sich mehr und mehr in die Geschichte der Stadt und trat dem Verein für Kunst und Altertum in Ulm und
Oberschwaben bei, der dann unter seiner Leitung von 1923-1934 einen bedeutenden Aufschwung nahm. In der Zeitschrift dieses Vereins hat er von 1924 an Ergebnisse
seiner Forschungen veröffentlicht; weitere Arbeiten aus seiner Feder erschienen in der Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte und in den Schwäbischen
Lebensbildern. Den größten Raum nehmen seine Arbeiten über die Besitz- und Herrschaftsverhältnisse im mittelalterlichen Ulm ein, bei denen ihm seine genaue
Ortskenntnis von besonderem Nutzen war. Kennzeichnend für seine Forschungsweise ist ein vorsichtiges, gewissenhaftes Abwägen, das ihn nicht leicht zu einer
Entscheidung kommen ließ, und eine Neigung, die Fragen, die ihm besonders wichtig waren, in neuen Arbeiten immer wieder aufzugreifen und zu vertiefen. Andere
Arbeiten behandeln die Reformationszeit, vor allem den Chronisten Felix Fabri und den Bürgermeister Bernhard Besserer. Noch unveröffentlicht sind gründliche Arbeiten
über die Bundesfestung Ulm und über die Gouverneure der Festung. Seine Niederschriften über Ulm im Ersten Weltkrieg, über die Revolution von 1918, sowie
chronikartige Aufzeichnungen aus späterer Zeit stellen sehr wertvolle Quellen zur Geschichte der jüngsten Vergangenheit dar. Besondere Freude machte ihm eine
Arbeit über Alte Steinkreuze in der Umgebung Ulms; in erfreulich unbürokratischer Weise wurden
da die Landjäger seines Landgerichtssprengels herangezogen, um die Kreuze ihrer Bezirke festzustellen, und auf zahlreichen Fahrten wurde ein erstaunlicher
Reichtum an Kreuzen beschrieben und aufgenommen.
Ernsts Arbeit ist aus der Ulmer ortsgeschichtlichen Forschung nicht wegzudenken. Sie hat über seine Heimatstadt hinaus Beachtung und
Anerkennung gefunden. Er wurde in die Württembergische Kommission für Landesgeschichte berufen und gewann die Freundschaft bedeutender Historiker, wie Karl
Wellers, Peter Goeßlers, der Brüder Beyerle und Karl Siegfried Baders, der ihm im VIII. Jahrgang der Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte ein schönes
Denkmal gesetzt hat.
(O. Wiegandt - Max Ernst, in: Ulm und Oberschwaben 32, 1951, S.113f, in Kopie übersandt durch das Stadtarchiv Ulm)
Max Ernst zum Gedächtnis (Auszug)
[...] Im Leben und Werk von Max Ernst steht die Stadt Ulm im absoluten Mittelpunkt. Geboren wurde er 1869 in Winnenden, wo sein
Vater Christian Ernst protestantischer Helfer war. Schon im darauffolgenden Jahr, 1870, wurde der Vater nach Ulm versetzt. Eine kräftige, urwüchsige Persönlichkeit,
in allem ein echter Schwabe, galt Stadtpfarrer Ernst als ein Mann, der wusste, was er wollte. Noch heute sind in Ulm manche Anekdoten in Umlauf, die sein Wesen
beleuchten. Er wusste insbesondere, was jeder Schwabe als gut und recht findet, sein Sach zusammenzuhalten – sei es Vermögen der ihm anvertrauten Pfarrei, sei
es sein eigen Gut. Sein ältester Sohn Max absolvierte in Ulm das Gymnasium, um dann in Tübingen, Berlin bei Treitschke und Brunner und Leipzig u.a. bei Rudolf
Sohm Rechtswissenschaft zu studieren. Nach den auf mehreren württembergischen Aussenposten verbrachten Anfängerjahren kehrte er 1906 endgültig nach Ulm
zurück, wo er nacheinander Landrichter, Staatsanwalt und schliesslich Oberstaatsanwalt wurde. So erlebte Max Ernst mit unbedeutenden zeitlichen Unterbrechungen
persönlich ein wichtiges Stück Ulmer Stadtgeschichte; die Zeit , in der die ehemalige Festung ihre unbequemen Gürtel überall sprengte, in der sie sich zur Industriestadt
entwickelte und aus der Erstarrung der späten reichsstädtischen Vergangenheit zu Volksreichtun und neuem Wohlstand gelangte. Vielleicht dies alles etwas zu
rasch, zu sprunghaft! Max Ernst sah die Gefahren dieser Entwicklung klar vor sich, noch deutlicher aber diejenigen, die nach dem Jahre 1936 die wilde Aufrüstung
und die Auffüllung der alten und neuen Kasernen mit Riesenscharen von Soldaten mit sich brachten. Über mangelnden historischen Sinn der neuen Bewohner konnte
er ebenso klagen wie über die Zunahme rein materialistischer Lebensgestaltung, die dem Ulmer der letzten Jahre in ganz besonderem Masse den einmal für alle
Schwaben geprägten Namen von "harmonischen Verdienern" einbrachte. Die schönen Zeiten vor dem ersten Weltkrieg, in denen in Ulm ein reges geistiges, vor allem
auch geschichtliches Leben blühte, sah er unwiederbringlich verloren. An der Stelle der historischen Veteranen, die im Stadtarchiv, in Museum und Bibliotheken, vor
allem aber im "Verein für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben" gewirkt hatten, der Veesenmeyer, Hassler, Schad, Besserer, Pressel, Greiner, Kölle und wie
sie alle heissen; an ihrer Stelle sah der Alternde Epigonen treten. Wie häufig beim Wechsel der Generationen sah er dabei zu schwarz, unterschätzte wohl auch Kraft
und Willen der Nachfolger. Unzweifelhaft aber hatte er recht mit seiner Befürchtung, die guten alten Zeiten möchten nicht mehr kommen. Bei der Jugend gar sah er das
erschreckend sinkende Niveau.
[...] Von 1906 an stand er dem Verein für Ulm und Oberschwaben als tätiges Mitglied nahe; 1923 übernahm er den Vorsitz, den er bis 1935 innehatte und
unfreiwillig abgeben musste, als er für den jüdischen Direktor des Ulmer Museums, den bekannten Kunsthistoriker Baum, mannhaft eintrat. Während seiner
Vorstandschaft erreichte der Verein eine Hochblüte, die ihn in Verbindung mit zahlreichen Schwestervereinigungen brachte. Ernsts besonderes Interesse galt der
Gewinnung bedeutender Historiker für Vortragsabende in Ulm, und man wird wohl sagen können, daß kaum ein bedeutender südwestdeutscher Historiker jener Jahre
nicht einmal auf Ernsts Wunsch in Ulm gesprochen hätte.
[...] (es folgt eine ausführliche Darstellung von Max Ernsts Veröffentlichungen)
Umso wertvoller ist eine andere, gleichfalls in das Gebiet der Rechtsarchäologie und der Volkskunde hineinragende, im wesentlichen als Stoff- und Bildsammlung
gedachte Arbeit über Alte Steinkreuze in der Umgebung Ulms (Heft 29, 1934 der "Mitteilungen“). Sie ist
ein sprechender Beweis dafür, was genaue Orts- und Landeskenntnis zuwege bringen kann. Ist es Ernst doch gelungen, im Landgerichtssprengel Ulm nicht weniger
als 141 Steinkreuze, meist typischer Form und 2 Kreuzsteine festzustellen, zu beschreiben und grösstenteils im Lichtbild festzuhalten.
[...] Am 27. November 1945 ist er, nach langem Leiden, ruhig und in Frieden verschieden. Im Frieden mit sich selbst, den er in den letzten Monaten wiederfand.
Die grässliche Zerstörung der ihm über alles geliebten Stadt am Ende des unseligen Krieges hatte ihm das Herz gebrochen. Die deutsche Katastrophe des Frühjahrs
1945 nahm ihm die bei aller Klarheit der politischen Erkenntnis fortbestehende Hoffnung auf einen erträglichen Kriegsausgang. Als ich aus Kriegsgefangenschaft im
Lager Neu-Ulm Mitte Juli 1945 über die Donaunotbrücke in das grausam verstümmelte Ulm eintrat, galt mein erster Gang dem Hause Heimstraße 19. Das Haus war
unzerstört. Vom Krankenbett des 75-Jährigen aus sah man wie einst den hohen Turm des Münsters, sah ihn nur näher, nackter wie vordem. Den müden Einwand des
hinfällig gewordenen Greises, daß all seine Arbeit umsonst gewesen sei, ließ ich nicht gelten. "Keine Arbeit, die ganz um ihrer selbst willen getan worden ist, ist
umsonst getan", sagte ich zu ihm, als wir uns zum letzten Mal die Hand gaben. Als er starb, hatte er, wie mir Frau und Tochter schrieben, den Glauben wieder
gefunden, daß Ulm wieder erstehen werde, den Glauben zugleich, daß Wahrheit und Gerechtigkeit, die Ziele seines Lebens, fortbestehen bis an und über das Ende
dieser Welt.
(Auszug aus dem Vortrag von Generalstaatsanwalt Prof. Dr. Karl S. Bader, gehalten am 13. Februar 1947 im Alemannischen
Institut in Freiburg im Breisgau; veröffentlicht im ganzen in der Zeitschrift für Württembergische Landeskunde, VIII. Jahrgang (1944-48), S.445-457, Manuskript in
Maschinenschrift im Stadtarchiv Ulm)
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