Deutschland Niedersachsen Lkr. Osterode am Harz

Ührde


Abbildung bei
Müller / Baumann
(1988)

PLZ: 33752

GPS:

Standort: Am Weg von Osterode nach Ührde, auf dem Lausberg.

Größe / Material: 90cm hoch / Quarzit-Findling

Geschichte: Bis etwa 1890 stand der Gedenkstein ca. 5m von der Straße entfernt.
Der Schäferstein oder Leichenstein, wie er auch genannt wird, ist ein Findling, dessen Form weiter nicht bearbeitet worden ist. Ein 52cm hohes Kreuz wurde eingetieft. Der Stein trägt die Aufschrift:
INRI:
ANNO 1.6.0.9
Hans von •
neimen:
DEN XI • MAY
vom wetteR
erschlagen
Groß- und Kleinbuchstaben wechseln z.T. willkürlich, die Buchstabenhöhe variiert. Gelesen wird allgemein: Hans von Einem.
Die Schreibweise neimen, wie sie der Stein trägt, soll heute noch in Herzberg vorkommen. In Osterode ist die Familie von Einem aber nachzuweisen.
Auf der Rückseite ist sehr oberflächlich und sehr flach ein Kreuz eingetieft. (Müller / Baumann 1988)

Sage: Ein Schäfer, der während eines Gewitters frühstückte, ist durch einen Blitz, der ihn traf, "bestraft" worden. (Der Glaube, daß man während eines Gewitters nicht essen dürfe, ist weit verbreitet gewesen.)

Quellen und Literatur:
Müller / Baumann - Kreuzsteine und Steinkreuze in Niedersachsen, Bremen und Hamburg, 1988, Nr.4227.1
Ingrid Kreckmann und Detlef Tront - Der Schäferstein bei Ührde, auf: Karstwanderweg.de




Der Schäferstein bei Ührde

Der großen Findling, wird als Schäfer- oder Leichenstein bezeichnet. Die Inschrift um ein großes Kreuz lautet gegenwärtig:
INRI
ANNO 1.6.0.9
Hans von •
[oder: Koon]
nei men
DEN XI • MAY
vom wetteR
erschlagen
Auf der Rückseite findet sich ebenfalls ein Kreuz, das jedoch nur schwach zu erkennen ist.
1809 wurde im Neuen Hannöverschen Magazin dieser mit einem Kreuz versehene Stein beschrieben, "welcher einen vom Blitz erschlagenen Schäfer deckt".
Der Chronist Renner teilt 1833 mit, dass auf dem Wege von Ührde nach Osterode auf dem Lausberge der aufgerichtete, 1 1/2 Fuß hohe Sandstein dort stand, wo der Sage nach ein ruchloser Schäfer vom Blitze erschlagen und begraben worden sei. An anderer Stelle schreibt Renner, dass das 1 Elle über der Erde herausstehende Kreuz nebst Jahreszahl zu erkennen war, während die Worte durch Verwitterung unlesbar waren. Der Sage nach liege unter diesem Steine ein ruchloser Schäfer begraben, der hier "zwischen seinen Schaafen" erschlagen wurde.
Pfingsten 1956 wird im "Osteroder Kreis-Anzeiger" der Stein wiederum einem Schäfer zugeordnet. Der ungenannte Autor vermutet, dass es sich um jenen Hans von Einem handelt, der am 20.11.1607 (als 16. von insgesamt 20) Neubürger in Osterode geworden war.
In einem 1959 ohne Verfassernamen erschienenen, Zeitungsbeitrag ist zu lesen, dass dieses "Marterl" (in katholischen Gegenden Erinnerungsmal, das oft Martha darstellte, die Schwester des Lazarus) für Hans von Einem auf freiem Feld etwa 180m vom Weg entfernt gestanden habe. Ein Hinweis auf einen Schäfer findet sich hier nicht.
Die Autoren Müller und Baumann geben 1988 an, dass der Schäfer während eines Gewitters frühstückte und dafür "bestraft" wurde. Der Stein habe bis etwa 1890 ca. 5 Meter von der Straße entfernt gestanden.
Zwei Verfasser erwähnen das auf der Rückseite des Steins eingetiefte Kreuz.
Schäfer galten als selbstbewußte, unabhängige Menschen. Nach dem "Sachsenspiegel" waren sie vom Heeresdienst befreit, um immer bei ihrer Herde bleiben zu können. Gute Hunde unterstützten sie beim Hüten. Warum mag der, dem dieser Stein galt, als "ruchlos" - also ehrfurchtslos - bezeichnet worden sein? Zu essen, während Blitz und Donner tobten, verstieß seinerzeit und bis weit in das 20. Jahrhundert gegen die guten Sitten. Der Tod durch Blitzschlag wurde als gerechte Strafe Gottes empfunden.
Oder hatte Hans von Einem die ihm anvertrauten Schäfchen nicht ins Trockene gebracht, als sich das Gewitter ankündigte? Daraus schlossen die Menschen jener Zeit, dass es ihm an der "Respekt" vor Blitz und Donner fehlte. Möglicherweise irrten die hilflosen Schafe blökend umher, so dass Frauen und Männer bei der Feldarbeit - vielleicht erst Tage später - auf ein ungewöhnliches Geschehen aufmerksam wurden.
Im Göttinger Tageblatt bringt 1961 ein ungenannter Autor das steinerne Denkmal, das er als Sühnekreuz bezeichnet, mit einem vom Blitz erschlagenen Forstadjunkten in Verbindung. Eine ähnliche Erwähnung fand sich anderweitig nicht.
Bei der Deutung des Namens Neimke sind sich die Autoren einig: Es handele sich um ein Mitglied der weitverzweigten Familie von Einem. Dieser Name kommt seit dem 15. Jahrhundert in Osterode vor. Von Einem wurde: abgeleitet von dem Ortsnamen Einum b. Einbeck, erste Erwähnung 1212 in Hildesheim.
Ein Eintrag im Kirchenbuch der St. Aegidienkirche von 1609 deutet eher auf die erste Version hin, einen Schäfer betreffend:

"Den 4. May ist Hans Neimke ausgegangen auf sine Wisen und Feldhern und nachdem er sie wie ..... und wider auf dem Himberge gebracht ist er vom Wetter hernied geschlagen und alsbald da blieben".

"Sie...wider..." könnte sich auf Schafe beziehen, die auf Wiesen und Feldern gehütet wurden. Der "Himberg" mag damals eine gebräuchliche Flurbezeichnung gewesen sein. In den beim Katasteramtes Osterode vorliegenden Karten taucht sie nicht auf. Nach diesen Angaben ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass es sich um einen Forstadjunkten handelte. Die Angehörigen des vom Blitz Erschlagenen ließen wohl später den Stein setzen, um Gott zu versöhnen. Der darauf eingetiefte Tag des Unglücks (4. Mai) und der im Kirchenbuch dokumentierte (11. Mai) differieren um eine Woche.
Möglicherweise ließ sich das Geschehen nachträglich nicht mehr genau datieren.
Auf dem Weckenberg, im freien Feld, soll der Stein früher 180m und später 5m westlich der heutigen Straße entfernt gestanden haben. Um 1890, nach dem Abschluß der Verkoppelung, erhielt er seinen Platz auf der Westseite der Alten Uehrder Straße. Nach 1961 versetzte man ihn in deren östlichen Randstreifen. Mit diesem Standort wurde das Kulturdenkmal "Leichenstein" in die deutsche Grundkarte eingetragen.
Am Weg nach Uehrde, am östlichen Straßenrand überragt der etwa 90cm hohe Quarzit-Findling seinen Sockel aus kleineren vermauerten, zum Teil gespalteten Quarzit-Geröllsteinen, den sog. Sösekieseln. Er weist in der unteren Hälfte eine Einschnürung auf. Hier beträgt der Umfang 116cm. Auf seiner nach innen gewölbten Breitseite, die dem Feld zugewandt ist, läßt sich schwach ein 50cm großes, grob gemeißeltes Kreuz erkennen. Weitere Zeichen sind nicht (mehr?) zu erkennen.
Der Text und das Kreuz auf der Vorderseite könnten mehrfach nachgeschlagen worden sein. Möglicherweise wurde die Inschrift dabei verändert, denn gegenwärtig ist dort "Hans Koon neimen" zu lesen.
Um 1960 restaurierte der ortsansässige Bildhauer Georg Kirchner letztmalig die Frontseite im Auftrag der Feldmarksgenossenschaft Osterode. An seinem jetzigen Standort wird der Schäfer- oder Leichenstein von zwei Ruhebänken und schattenspendenden Linden flankiert. Von hier aus bietet sich ein ungewöhnlicher Rundblick: Die offene Feldflur wird von den ausgedehnten Waldgebieten Osterfeld, Moosberg, Lichtenstein, Westerhöfer Wald und Uehrder Berg umrahmt. Buschwerk und Obstbäume bereichern die Landschaft. Von hier aus kann der Blick in Richtung Kirchenruine des einstigen Dorfes Möttlingerode schweifen, die sich auf dem Berg in Höhe der Häuser am Feldbrunnen erhebt.
Möge der Schäfer- oder Leichenstein weitere Jahrhunderte an seinem jetzigen Standort an ein dramatisches Geschehen erinnern.
(recherchiert, bearbeitet und bebildert von Ingrid Kreckmann und Detlef Tront)


Sühnekreuze & Mordsteine