Deutschland Sachsen Lkr. Meißen

Röhrsdorf


Abbildung bei
Kuhfahl (1928)

PLZ: 01665

GPS: N 51° 05.751', O 13° 31.530'

Standort: Im Ort, vor der östlichen äußeren Kirchhofsmauer, 8m östlich des nordöstlichen Kirchhofpförtchens.

Größe / Material: 82-90:56:21 / Sandstein

Geschichte: 1896 entdeckte man das Kreuz beim Schleusenbau an der Kreuzung des Weges Naustadt - Klipphausen mit der Dorfstraße in unnatürlicher Tiefe von 3m. Wurde es von abergläubischen Menschen aus Furcht, der Stein bringe Unglück, so tief vergraben?
Kopf und Armkanten mit alten Abschlägen. Keine Einzeichnungen. SW-Seite, auf den Armen, jung eingeritzt: je ein kleines R.P.. Kopf und Schaft zur Kreuzung zu verjüngend, Arme gerade. (Müller / Quietzsch 1977)

Sage:

Quellen und Literatur:
Kuhfahl, Dr. G.A. - Die alten Steinkreuze in Sachsen, 1928, Nr.218
Kuhfahl, Dr. G.A. - Die alten Steinkreuze in Sachsen, Nachtrag, 1936, Nr.233
Müller / Quietzsch - Steinkreuze und Kreuzsteine in Sachsen, Inventar Bezirk Dresden, 1977, S.257-258
Wünsche, Achim - Das Steinkreuz am Lindenberg, in: Geschichten aus Röhrsdorfs Geschichte - 11.Folge, auf: Linkselbischer Bote, 1.Juni 2004, S.16-17



Das Steinkreuz am Lindenberg
Geschichten aus Röhrsdorfs Geschichte - 11. Folge

Auch in Röhrsdorf gibt es vielgestaltige steinerne Zeugen der Ortsgeschichte. Wir finden sie in Form des Kreuzes, des Mahnmals, der Wegesäule oder des Grenzsteins.
Ein Steinkreuz steht am "nordöstlichen Friedhofspförtchen", am abgestuften Fußweg vom Friedhof durch den Lindenberg hinunter zum Regenbach, Bild: Zustand 2003. Dieses Kreuz wurde von den steinernen Zeitzeugen in Röhrsdorf mit Abstand am meisten von Autoren einschlägiger Literatur erwähnt. Trotzdem ist seine Geschichte nicht vollständig geklärt, es hütet vorerst noch mindestens drei Geheimnisse.
Das Kreuz aus Sandstein ist ein Monolith, d.h. aus einem Werkstück grob behauen gefertigt, im Mittel 87cm hoch, 56cm breit und 21cm dick. Der Form nach kann es den Antonius-Kreuzen zugeordnet werden: relativ langer Schaft mit rechtwinklig getrennten Armen, Schaft und Kopf verjüngen sich wenig zur Kreuzung hin.
Dr. Kuhfahl, einer der führenden Wissenschaftler Sachsens in Sachen Steinkreuze der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, berichtete 1928 in einem Beitrag zu alten Steinkreuzen in Sachsen: "Von den Kreuzen, die mir bis zu meiner ersten Veröffentlichung (1918, A.W.) entgangen waren, steht das eine am Friedhof zu Röhrsdorf bei Meißen im waldigen Talgehänge (dem Lindenberg, A.W.). Es ist 1896 an der Kreuzung der Dorfstraße und des Naustadt-Klipphausener Weges drei Meter tief im Boden gefunden worden, als der Fleischer Lindner einen Abfluß für sein Schlachthaus anlegte."
Damit beginnt seine vorerst bekannte Geschichte. Fleischermeister Hermann Lindner war bis 1883 Besitzer jetzt "Am Regenbach 54b". Er kaufte 1880 infolge "Dismembration" (Flurstücksteilung, A.W.) das Grundstück jetzt "Pinkowitzer Straße 1" als Teilstück vom damaligen Gehöft des Gutsbesitzers Bruchholz (jetzt "Pinkowitzer Straße 3"). In den Folgejahren richtete er in den erworbenen Gebäuden eine Fleischerei ein, das Schlachthaus im Nebengebäude entlang der jetzigen Pinkowitzer Straße. Älteren Röhrsdorfern ist die Bezeichnung "Fleischergasse" noch geläufig. Der zunehmende Schlachtbetrieb machte eine sichere Entwässerungsschleuse des Schlachthauses erforderlich. Sie verlief entlang der Straße unter der Kreuzung und dem Mühlgraben hindurch zum Regenbach. Dabei stieß man wohl zufällig auf das Steinkreuz. Wie es in die Tiefe von drei Metern unter der Straße kam, ist sein erstes Geheimnis.
Fachleute sind sich einig, dass schwere Steinkreuze durchaus im Laufe von vielleicht mehreren Hundert Jahren einsinken können, von Erdreich teilweise ganz oder teilweise überdeckt. Beispiel für einen solchen Vorgang ist das Bockwener Steinkreuz. Frau Fleißner, Röhrsdorf, berichtete darüber im Gemeindeboten Februar 2001. Aber drei Meter einzusinken ist unter den geologischen Bedingungen am Fundort nicht möglich. Hier und bei ähnlichen Funden andernorts wird vermutet, dass solche Kreuze vorsätzlich und sehr tief eingegraben wurden, weil es Furcht und / oder Aberglauben der Bewohner am ehemaligen Standort geboten. Wo dieser ehemalige Standort des Röhrsdorfer Steinkreuzes vor 400 bis 600 Jahren (so alt werden vergleichbare Kreuze geschätzt) war, ist sein zweites Geheimnis.
Steinkreuze gehen auf den alten Kreuz-Kult der Germanen zurück. Dr. Kuhfahl nennt grundsätzlich vier mögliche Bedeutungen:
- Mörder stellten Kreuze auf, wenn kein Todesurteil gesprochen wurde ("Sühnekreuze"),
- Selbstmörder erhielten besondere Grabstellen in Kreuzform, weil sie nicht auf Friedhöfen beerdigt werden durften,
- Kreuze erinnern an schreckliche Ereignisse wie Kriegswirren (z.B. "Schwedenkreuze"), Pestepidemie u.a.,
- schließlich standen Kreuze ab etwa 1700 "nur" noch für außergewöhnliche Einzelereignisse (z.B.Unfall, Blitzschlag).
Die ursprüngliche Bedeutung des Röhrsdorfer Steinkreuzes ist noch nicht eindeutig geklärt. Wohl etwas voreilig verwendeten einige Autoren den Begriff "Sühnekreuz". Welche Bedeutung es ursprünglich hatte ist sein drittes Geheimnis.
Belegt ist, dass das zufällig gefundene Kreuz 1896 als Kriegerdenkmal vermutlich am jetzigen Standort aufgestellt wurde, so wie es der Röhrsdorfer Kirchenvorstand im Mai 1896 beschloss. Seine Einweihung als "Gedächtnismal der Gefallenen aus dem 70er Feldzug" erfolgte anlässlich des 25. Jahrestages des Kriegsendes 1870/71 (Sedanfeier). Bereits 1895 genehmigte der Röhrsdorfer Gemeinderat den Antrag des Militärvereins, in Röhrsdorf lebende Veteranen dieses Krieges zu ehren. Das waren (Reihenfolge nach Original):
Privatus Winkler, Hausbesitzer Vogt, Wirtschaftsbesitzer, Ulbrich (jetzt Am Regenbach 97), Gasthofbesitzer Hentschel (Deutsches Haus), Bäckermeister Irmer (jetzt Am Regenbach 42), Handarbeiter Deich, Wirtschaftsbesitzer Pinker (jetzt Alte Straße 5). Diese sieben ehemaligen Kriegsteilnehmer erhielten nach einem "Festgottesdienst am Ehrenmal auf dem Lindenberg" zu Lasten der Gemeindekasse die Schrift "Der große Krieg 1870/71" für 3,50 Mark das Stück. Immerhin, die Glücklichen hatten das Gemetzel überlebt.
1901 stellte der Militärverein den Antrag, das Kriegerdenkmal umzäunen zu dürfen. Der Kirchenvorstand gab seine Zustimmung: "eine Umzäunung des Kriegerdenkmals wird dem Militärverein gern gestattet". Aus den bisher eingesehen Unterlagen ist nicht zu entnehmen, ob jemals ein Zaun errichtet wurde. In den 1920er Jahren tat man wohl einiges zu viel für die Attraktivität des Kreuzes. In einer Beilage zum Wilsdruffer Tageblatt kritisiert der Verfasser, dass die schlichte Gestalt "durch einen kleinen, aber grässlichen Zementdenkstein am Kreuzesfuß" beeinträchtigt würde. Er schlug einen schlichten Feldstein "als Ersatz für das Machwerk einer geschmacklosen Zeit" vor.
In einem Buch "Steinkreuze und Kreuzsteine" aus dem Jahre 1977 teilt der Verfasser mit, dass das "Röhrsdorfer Kreuz keine Einzeichnungen, keine Gefährdungen (beides möge so bleiben ! A.W.), nur allgemeine oberflächliche Verwitterungen mit alten Abschlägen an Kopf- und Armkanten aufweist" , seit Dezember 1972 unter Denkmalschutz steht. Und das in bester Gesellschaft.
Wurden 1915 zunächst mehr als 240 Steinkreuze in Sachsen erfasst, waren es 1975 im Kreis Meißen 10 und im damaligen Bezirk Dresden 263. In den zurückliegenden Jahren befreiten ABM-Kräfte bei Ausforstungsarbeiten am Lindenberg auch das Umfeld das Kreuzes von Gestrüpp. Vielen Dank.
Wir wünschen dem alten Kreuz mit seinen Geheimnissen, das seit 108 Jahren (wieder) im Tageslicht steht, noch einen langen Bestand und viele Besucher, die sein Alter und seine Geschichte zu würdigen wissen.
Bild: Verfasser
Achim Wünsche,Röhrsdorf
(Linkselbischer Bote, 1. Juni 2004, S.16-17)


Sühnekreuze & Mordsteine