Deutschland Sachsen Lkr. Löbau-Zittau

Olbersdorf


Blick zum Standort

Erläuterungstafel

Zustand April 2008
Foto: Lory

Zustand um 1983
Foto: Richter

Kreuz liegend,
Schaftansatz oben
Abbildung bei
Müller / Quietzsch
(1977)

PLZ: 02785

GPS: N 50° 52.292', O 14° 46.152'

Standort: In der "August-Bebel-Straße 139", in einer kleinen Grünanlage am Goldbach.

Größe / Material: 61:91:24 / Sandstein

Geschichte: Im April 2008 konnte das Steinkreuz am Standort nicht vorgefunden werden. Die Stadt Olbersdorf erklärte auf Anfrage, dass das Steinkreuz kurzzeitig im Bauhof eingelagert und gesäubert wurde. Seit Mitte Mai 2008 ist es wieder am alten Standort.

Alter Standort an der Kreuzung "Julius-Ringehan-Straße" / "Jonsdorfer Straße" (heute Kreisverkehr zum Grundbachtal). Das Foto aus den frühen 1980er Jahren ist aus Richtung Westen aufgenommen mit Blick zur unteren Kreuzung "August-Bebel-Straße" / "Ernst-May-Straße". (Richter 08/2013)

Ortsmitte, östlicher Ortsrand, nördlich vom Bahnhof Niederdorf, 45m nordöstlich der Einmündung des Weges von der Dorfstraße zum Bahnhof in einen Weg längs des Bahnkörpers, unmittelbar nordwestlich des letzteren Weges, hinter einem Zaun (= Lage der Fundstelle). September 1969 bei Feldbestellung aufgefunden (Haase 1970: "Frühjahr 1970"; Hänchen 1976). Kopf, Arme und Schaftrest nahezu gerade. Das als Kopf angenommene Ende sehr kurz. Zur Zeit der Aufnahme liegend. Auf dem Scheitel des als Kopf angenommenen Endes linear eingeritzt: kleines Kreuz mit Hakenenden(?).
Fußteil des als Schaft angenommenen Endes fehlt, geringe neue Abschläge an den Armen durch die Bergung. Nach der Auffindung und vor der Neuaufstellung ein Arm abgebrochen, jedoch fachgerecht wieder angefügt.
Seit Frühjahr 1971, entgegen den Vorschlägen des Landesmuseums weitab der Fundstelle, auf ebenerdig abschließenden Sockel aufgestellt: Mbl. 5154 (107), N 13,0/0 18,85 - im südwestlichen Ortsteil (Oberdorf), in dem Rasendreieck, das durch die Gabelung der Straße nach Johnsdorf und Oybin gebildet wird.
Das im Sühnevertrag von 1495 (Schöppenbuch Olbersdorf) geforderte Steinkreuz (Korschelt 1862) könnte auf den Fund zutreffen: Der Besitzer der Niedermühle mußte wegen eines begangenen Totschlags, neben anderen Leistungen, ein "steynen kreutze" setzen.
Bei Kuhfahl (1928), der sich auf den Sühnevertrag stützt, als verschwunden aufgeführt. (Müller / Quietzsch 1977)

Sage:

Quellen und Literatur:
Korschelt, G. - Strafen des Mittelalters, in: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Organ des Germanischen Museums, N.F., 9.Jg., 1862, Nr.4, Sp.118-119
Korschelt, G. - Geschichte von Olbersdorf bei Zittau, Zittau 1864, S.96
Kuhfahl, Dr. G.A. - Die alten Steinkreuze in Sachsen, 1928, Nr.46, S.226 unter verschwundene
Haase, M. - Wertvoller Fund in Olbersdorf, in: Sächsische Zeitung. Kreisausgabe Zittau, 25.Jg., 1970, Nr.119
Hänchen, Paul - Ein Olbersdorfer Steinkreuz von 1495, in: Sächsische Heimatblätter, 22.Jg., 1976, Heft 4, S.178-179
Müller / Quietzsch - Steinkreuze und Kreuzsteine in Sachsen, Inventar Bezirk Dresden, 1977, Nr.254, S.390-392
Bildergänzungen von Sigmar Lory, Neuenmörbitz (Foto von April 2008) und Frank Richter (Foto um 1983 entstanden)
Auskunft von Adolph Anke, Stadtverwaltung Olbersdorf (05/2008)
recherchiert und bebildert von Paul Basler, Schwarzenbach / Saale (Fotos von August 2008)



Ein Olbersdorfer Steinkreuz von 1495
von Paul Hänchen

Angeregt durch die Veröffentlichung "Bräuche um das Sühnen von Totschlägen im Mittelalter" von Walter Saal, in Sächsische Heimatblätter 5/1975, fühle ich mich zu nachstehendem Beitrag verpflichtet.

Im außerordentlich trockenen Herbst des Jahres 1969 wurde von der LPG "Glückauf" Olbersdorf ein Steinkreuz ausgeackert. Das Steinkreuz, bis dahin verschüttet oder versunken, trug auf seinem etwas abgeschlagenen und abgeschrägten Kopfteil ein eingemeißeltes Kreuz. Demnach hatte der aus dem Boden herausstellende Kopfteil als Grenzstein zwischen dem ehemaligen Kretschamfeld und dem östlichen "Hinternhofeweg" gedient Die Fundstelle, annähernd eingemessen nach dem Meßtischblatt 1:25 000 Zittau-Süd, Rechtswert 84.80, Hochwert 38.60.

Abb.1: Fundstelle des Steinkreuzes am "Hinternhofeweg" im Kretschamgarten

Abb.2: Am neuen Standort, aufgerichtet 1971.
Foto: Kurt Heine.

Da der "Hinternhofeweg" von alters her ein durch die Fluren der anrainenden Bauern nur geduldeter Fußweg war, muß das noch ziemlich scharfkantige Kreuz erst bei einem Ausrainen des "Hinternhofeweges" eingeschlagen worden sein. Ein unmittelbarer Anlaß könnte der 1904/05 erfolgte Ausbau des "Hinternhofeweges" zu einer 4-5m breiten Straße gewesen sein. Weitere Möglichkeiten sind bei der 1840 vorgenommenen ersten Flurvermessung als gegeben anzunehmen. Zu jener Zeit muß das Steinkreuz nicht mehr erkennbar gewesen sein, oder man hat es einfach nicht beachtet. Der Schreiber der 1864 erschienenen "Geschichte von Olbersdorf", Gustav Korscheit, erwähnt, ohne auf das Kreuz Bezug zu nehmen, die im I.Olbersdorfer Schöppenbuch unter 1495 eingetragene Sühneverhandlung wegen eines Totschlages, bei der unter anderem auch das Setzen eines "steinernen Kreuzes" verlangt wird. Der Zittauer Morawek, ein fleißiger Sammler und Geschichtsfreund, hat in seinem wenig später erschienenen Buch "100 Denksteine" keine Nachricht über das Kreuz. Dr. Kuhfahl bezieht sich in seinem 1928 erschienenen Buch "Die alten Steinkreuze in Sachsen", S.226, auf Korscheit, und da er das Kreuz nicht fand, hat er es als verschollen registriert.

Das 1969 aufgefundene Steinkreuz ist nach Lage der Dinge mit hoher Wahrscheinlichkeit das Sühnekreuz für einen im Jahre 1495 begangenen Totschlag, der im I.Olbersdorfer Schöppenbuch auf den Blättern 18a/b und 19a eingetragen ist, jene von Korscheit veröffentlichte Urkunde.

Demnach hat der Müller, Meister Jorge, auf der Niedermühle (Ortsliste 48) den Ehemann der Heidematthes im Streit erschlagen. Heidematthes war ein Bauer, er hatte vor dem Jahre 1490 ein Gut in "dem dreyen hellem", einem jetzt nicht mehr bekannten Ortsteil von Olbersdorf, gekauft. 1490 wurde er vor dem Schöppengericht "losgesagt", er hatte somit den vollen Kaufpreis bezahlt (I.Schöppenbuch, Blatt IIb).

Vom Meister Jorge berichtet ein Eintrag auf den Blättern 7a/b des I.Schöppen-buches. Ihm wurden im Jahre 1486 "von den Gerichten" die Grenzen seines anscheinend kurz zuvor erworbenen Mühlengrundstückes bestätigt und auch die Unterhaltungspflicht am Mühlgraben und dem Stege in der Gemeindeaue eingetragen.

Der vom Meister Jorge begangene Totschlag wurde nach altem deutschem Recht gesühnt. Totschlag erforderte keine Leibesstrafe, sondern nur Sühne. Man ging davon aus, daß auch das Opfer mitschuldig am Streit war und gegebenenfalls an seiner Stelle der andere den Tod erleiden konnte. Vor beiderseitigen Zeugen wurde der Täter verpflichtet, die Bergungs- und Beerdigungskosten zu bezahlen und der Witwe das Trauergewand zu beschaffen. In einer Zittauer Kirche wurden auf seine Kosten zum Gedächtnis an den Toten 31 Seelenmessen gelesen. Weiter muffte er der durch seine Tat beleidigten Gemeinde ein "Selepat", eine öffentliche Badestube, stiften. Des weiteren hatte er eine steinerne Kapelle mit einem Kruzifix darinnen bauen zu lassen und, wahrscheinlich am Tatort, ein steinernes Kreuz zu setzen. Für sein eigenes Seelenheil wurde ihm noch eine Bußfahrt nach Rom auferlegt und muffte er dazu die Ausweisung erleiden.

Der Eintrag im Schöppenbuch hat buchstaben-, zeilen- und seitengetreu folgenden Wortlaut:


Blatt 18 a:

Heyde mathessynn
Jorge möller
Denn nestenn montag vor pancracy

Blatt 18 b:

Jst entscheidt gescheen Zwischenn der hey
de Matissinne vnd iorge Moller ime
eines todtslages halbenn Dorbey ist gewest
Matis kirschten hans korschelt Greger
newmann Tylge hans Engeler Schaw
be hanns Die do vff der heide Mathis seyte
gewest sein vnd nebin sich gecZogen hot
seine freunde vnd ir freunde Sie seynen
im lande wo sie sein Fort dorbey sein ge
west Mathis hawptman Cristoff ver
ber hanns Scholcze der schusterJorge weyn
rieh der smit Jorge Rodochse ein Tuchmach
er Merten polen ein müller meyster
Steffen ein moller Die vff meyster
iorgen seyte gewest sein Vmb sulche mis
setot die her gethann hot meyster Jorge So
sol her gebenn ein tuch gewant Dornoch
xxxi Zelmessenn lesen LosZen Dornoch
sol her losinn machen ein Selepat vnnd

Blatt 19a:

sol seczen eine Steine Capelle mit eine
Crucifixe vnnd ein steynen kreucze vnd
sol thuenn eine Romfart Auch hot meyst
iorge gelt ausgebenn Wo es hanget vnnd
langet Das man ehn hot dir hobenn vnd
bestat Zur erdenn vmb sulches falles wille
thut her eine sulche busse fort nymmerme
re vff zuruckome vor allermennigkliche
gleich faktum et actum domini M°
cccc° Nonagesimoquinto


Wir dürfen annehmen, daß Meister Jorge für die ihm auferlegten Sühnen all seinen Besitz einsetzen mußte und als armer Mann seine Bußfahrt nach Rom angetreten hat, von der er nicht mehr nach Olbersdorf, wahrscheinlich auch nicht mehr in "das Land Zittau", zurückkehren durfte.

Unerklärlich ist, wie dieser Vergleich über die Sühnemaßnahmen in das Olbersdorfer Schöppenbuch gelangt ist. Olbersdorf stand damals unter der Herrschaft des Oybiner Cölestinerklosters, es hatte seine Obergerichtsbarkeit (Kriminalgericht) über seinen gesamten Grundbesitz "zur Erhaltung guter Nachbarschaft" an den Rat zu Zittau abgetreten. Demnach gehörte das Urteil in das Zittauer Gerichtsbuch; sofern ein solches bestanden hat ist es am 23.Juli 1757 beim Brand des Rathauses mit dem Stadtarchiv verlorengegangen. Das erste Olbersdorfer Schöppenbuch ist um 1524 unter dem Prior Andreas Ringenhut angelegt worden. Die mit dem Jahre 1484 beginnenden Einträge sind bis zum genannten Jahr aus Aufzeichnungen des Klosters auf den ersten Seiten nachgetragen worden. Diese Sühneverhandlung ist die einzige dieser Art im Schöppenbuch, sonst enthält es nur "Lossagen" von Güterverkäufen, Erb- und Mündelsachen.

Das aufgefundene Sühnekreuz konnte unmöglich am Fundort wieder aufgestellt werden, da es an diesem ausgesetzten Platze bei den nächsten Bestellarbeiten erneut unter den Pflug geraten oder umgefahren worden wäre, darüber hinaus liegt dieser Ort im künftigen Abbaugebiet der Braunkohlengrube. Am Fundort wurden auf meine Veranlassung von Schülern unter Leitung des Lehrers Walter Jentzsch Nachgrabungen, leider ohne Ergebnis, vorgenommen. Im Einvernehmen mit dem örtlichen Denkmalpfleger und der Abteilung Kultur beim Rat des Kreises Zittau wurde dis Steinkreuz in einer kleinen Anlage an der Straßengabel Jonsdorfer Strafe - Ringehanstraße (Richtung Oybin) im Jahre 1971 neu aufgestellt und mit einer Hinweistafel versehen.

Paul Hänchen

(Sächsische Heimatblätter, 22.Jg., 1976, Heft 4, S.178-179)


Sühnekreuze & Mordsteine