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Näpfchensteine an kirchlichen Backsteinbauten
Falck, Pfarrer i.R.

   Im Nordosten Deutschlands (für andere Gegenden habe ich ähnliche Feststellungen nicht machen können) finden sich an alten, in Backstein errichteten Kirchen eigenartige Näpfchen im Mauerwerk. Sie haben die Größe etwa eines Zehnpfennig- bis Dreimarkstückes und befinden sich von etwa ½m über dem Fußboden an bis zur Manneshöhe, aber nirgends höher, als daß ein Mensch sie bequem erreichen könnte. Am häufigsten trifft man diese Näpfchen in der Nähe der Haupteingangstüre, selten an anderen Stellen des Mauerwerks.
   Natürlich hat man Erklärungen für diese Erscheinungen bei der Hand. Die einen reden von Spuren von Flintenkugeln; das ist aber gänzlich ausgeschlossen, da der Einschlag von Flintenkugeln im Mauerwerk splittert, während hier völlig glatte, wie poliert aussehende Vertiefungen vorhanden sind. In den nassen Lehm vor dem Brennen der Steine können die Löcher auch nicht hineingedrückt sein. Denn oft findet man am Rande eines Ziegelsteines slch ein Näpfchen, dessen Rundung deutlich in das Mörtelwerk der Fuge hinübergreift. Also können die Vertiefungen nur an Ort und Stelle in den gebrannten Stein hineingebracht sein. Da sieht nun eine andere Meinung (sie wird auch von wissenschaftlichen Kreisen vertreten) in diesen Näpfchen die Spuren mittelalterlicher Bußübungen. Man soll mit dem Daumen (er passt allerdings meistens gerade in die Vertiefung hinein) so lange am Mauerwerk herumgebohrt haben, bis das gewünschte Loch entstand. Nun haben die Menschen vergangener Jahrhunderte gewiß keine großstädtisch zarten Künstlerhände gehabt. Es ist aber doch billig zu bezweifeln, ob auch die dickste menschliche Hornhaut ein so langes Bohren und Drehen auf hartgebranntem Ziegelstein aushält, bis die erforderliche Vertiefung von 1 bis 2cm erreicht ist, ohne vorher in blutigen Fetzen herunterzuhängen. Hier sollten die Mediziner entscheiden, ob diese Erklärung überhaupt möglich ist. Die Entstehung und Bedeutung dieser Näpfchen wird also wohl zunächst noch nicht einwandfrei zu erklären sein.
   Eine Vermutung liegt nahe. Wir wissen, daß unsere germanischen Vorfahren auf den Opfersteinen solche Näpfchen anzubringen liebten. Auf Rügen z.B. ein solcher Näpfchenstein. Nun ist es ja eine bekannte Erscheinung, daß religiöse Bräuche und Anschauungen sich durch die Jahrtausende hindurch - wenn auch oft unbewußt und verwaschen - im Volkstum erhalten. Sollte hier bei Herstellung der Näpfchen in den Mauersteinen mittelalterlicher Kirchen noch etwas wie eine unbewußte Erinnerung daran nachgeklungen haben, daß solche Vertiefungen irgendwie mit religiösen Dingen zusammenhängen? Vielleicht können Fachleute diese Frage beantworten.

Falck, Pfarrer i.R.

(Germanien, Heft 10, 1935, S.314, Rubrik: "Aus der Landschaft")

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