Volksaberglaube & Brauchtum


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Götzensteine
Ein Fund zur Frühgeschichte Frankens
Von L. Wittmann, Nürnberg

   Einem unserer tätigsten Mitarbeiter, Herrn Direktor Fritz Röll-Nürnberg gelang es auf einer seiner sehr ausgedehnten Kundfahrten, ein Steinmal aufzufinden, dessen Ursprung noch vor die fränkische Zeit zu liegen kommt. Es ist ein sogenannter „Bildstein“. Im östlichen Gebiet nennt man diese Art von Denkmälern auch "Baba-Figuren" oder "Steinmütterchen". An der Feldkapelle unweit der Südostecke der Klostermauer von Ebrach bei Bamberg wurde am 14.4.1938 dieses Steinmal entdeckt; etwa 1m hoch ragte es aus dem Boden und war nur ganz lose an die Mauer gelehnt.

Ursprünglicher Standort des Ebracher Götzensteines
Foto: Fritz Röll-Nbg.

Kopfteil des Ebracher Götzensteines
Foto: Fritz Röll-Nbg.

Da sich in der Nähe der so genannte "Drei Herren Brunnen" befindet (eine stark vermooste Quelle), von dem behauptet wird, dass früher dort noch mehrere derartige Steine gestanden haben, wird vermutet, dass auch der neu gefundene Stein von dorther stammt. Nachforschungen nach weiteren diesbezüglichen Steinen, die der glückliche Finder an dieser Örtlichkeit anstellte, blieben ohne Erfolg. Fritz Röll erkannte sofort die Bedeutung dieses Steines und wusste, dass er einen der sehr seltenen Bildsteine gefunden hatte. Er setzte sich deshalb auch sofort mit dem Leiter des Seminars für Ur- und Frühgeschichte an der Universität in Erlangen, Herrn Professor Rudolf Paulsen, in Verbindung und trug Sorge dafür, dass der Stein in Pflege genommen wurde. Durch die tatkräftige Mithilfe des Herrn Professor Paulsen fand deshalb der Stein eine neue Heimat im Museum zu Bamberg, woselbst seit dem Jahre 1857 sich bereits drei derartige Mäler befinden, die unter dem Namen "Bamberger Götzensteine" in der Literatur bekannt geworden sind. Die bamberger Steine wurden damals im Uferland der Regnitz bei Baggerarbeiten gefunden und als "Götzenbilder slavischer Herkunft" bezeichnet; auf diese den Tatsachen nicht ganz gerecht werdende Bezeichnung werde ich näher eingehen.

   Sehen wir uns einmal unseren neuen Fund etwas genauer an. Der ganze habitus ist außerordentlich altertümlich und primitiv. Ein tief in die Schultern eingezogener Kopf sitzt auf gedrungenen gradlinig gehaltenen Körper; das Gesicht wird durch einen großen aufwärtsstrebenden Schnurrbart verziert; Augen und Nase sind ureinfach, gut gehalten dagegen sind die starken Augenwülste. Die Brust schmückt ein großer Wulst; der sich halbkreisförmig um den Hals legt. Die Arme sind sehr schwächlich und stümperhaft und liegen schräg nach abwärts, sie erwecken den Eindruck als ob sie unbekleidet seien, während der übrige Körper von einem lang herab fallenden Gewande eingehüllt wird. Einen Kleidsaum wie bei den bereits bekannten Bamberger Figuren, kann man an dem Ebracher Stein merkwürdigerweise nicht feststellen. Sämtliche Attribute, die man an den ostischen Steinen gewöhnt ist (Trinkhorn und Waffen), fehlen; auch die Spitzmütze und der Spitzbart, wie ihn die ostpreußischen Steine und auch die weiter östlich stehenden Denkmäler kennen, fehlen auf unserem Bildstein vollkommen. Es ist außerdem die typisch ostische Lendeneinschnürung, wie sie auf den Grabsteinen von Arkona beobachtet wurde, hier in Ebrach nicht zur Anwendung gebracht worden. Von allen den ostischen Merkmalen ist also bei unserm Denkmal nichts zu erkennen. Diese Umstände sprechen dafür, dass wir das Denkmal nicht dem "Slavenvolke" zuschreiben können. Am ehesten noch ist eine Verwandtschaft mit den vorgeschichtlichen illyrischen Denkmälern zu erkennen, obwohl ich nicht geneigt bin, das Denkmal als vorgeschichtlich anzusprechen.

   Das Vorkommen dieser Art von Denkmälern ist uns bis heute aus Spanien und Frankreich aus der beginnenden Hallstattzeit bezeugt; ebenso ist in den Alpenländern deren Vorhandensein bekannt. Das Hauptkontingent an solchen Figuren aber stellt doch der östliche Teil Europas, also die Donauländer bis hinein nach Tuwa und an den Baikalsee. Der Norden kennt in den Ostseeprovinzen das Vorkommen der Bildsteine und auch aus Schweden liegen einzelne, noch nicht kontrollierte Nachrichten über das Vorkommen ähnlicher Steine vor. Norddeutschland ist vorläufig frei von solchen Steinen. Ich sage absichtlich "vorläufig", denn es ist nicht ausgeschlossen, dass systematische Forschung auch dort das eine oder andere Denkmal auffinden kann, war ja bis vor kurzem auch Süd- und Mitteldeutschland noch "frei" von derartigen Funden. Erst unsere intensive Durcharbeitung ermöglichte es, mehrere dieser Denkmäler zu finden. So unter anderem auch über die Ansbacher Gegend. (Ich schreibe heute absichtlich noch nichts über die Ansbacher Steine, da ich in letzter Zeit berechtigte Zweifel an diesen Gruppen hegte. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Reynisch und seine Denkmäler und will es vorläufig dahingestellt sein lassen, ob er uns nicht auch hier "aus Begeisterung für das Germanentum" eine Fälschung "zur Freude" hinsetzte. Doch sind das, wie gesagt, vorläufig Vermutungen. Wollen wir hoffen, dass sie solche bleiben.) Im übrigen Süddeutschland kommen diese Art Steine bis heute nicht vor; auch das Land der "roten Erde" kennt sie nicht. Geleitet durch diese Fundumstände (die aber doch sicher als unvollkommen bezeichnet werden müssen, da ja immer wieder neue Funde gemacht werden können) war man versucht, diese Denkmäler als unseren östlichen Nachbarn zugehörig anzusprechen. Meine Untersuchungen gehen leider einen etwas anderen Weg.

   Die allgemeine Ansicht ist bis heute, dass diese Steine Götter oder Götzen darstellen sollen; doch berichten und Reisende wie Otto Männchen in seinem Werk "Meine Reise nach Tuwa", dass die dortige Bevölkerung, die heute noch blondhaarig und blauäugig ist, diese Steine als Ahnenfiguren anspricht, zum Teil auch als die erschlagenen Feinde des Verstorbenen, um dessen Grabhügel sie oft in größeren Gruppen beisammen stehen. Der Hauptfeind wurde immer größer dargestellt als die anderen (ähnliche Parallelen sind auch aus Afrika bekannt). Wenn also bei uns diese Steine öfters in Gruppen vorkommen und von unterschiedlicher Größe sind, ist noch keinesfalls der Nachweis erbracht, dass sie eine „Gottdreiheit“ darstellen sollen; wir haben noch keine Nachweise dafür. In den Ostseeprovinzen, wo Dr. La Baume die gesamte Denkmälergruppe zusammengefasst und gründlich durchgearbeitet hat (Siehe Heft 11 unserer Zeitschrift über "Den Ursprung des Steinkultes" v. L. Wittmann, Seite 10ff.), tritt häufig die Nachricht auf, dass diese Steine "Grenzsteine" seien. So merkwürdig wie dies klingt, soviel Richtigkeit kann darin eingeschlossen sein. Ich erinnere an meine Ausführungen in oben angezogener Literatur, woselbst ich über die Menhire ähnliches ausführte, denn seit alters lagen die Grabhügel mit ihren Stein- oder Holzsäulen an der Grenze des Siedlungsgebietes und wurden dadurch im Laufe der Jahrhunderte zu Grenzzeichen. Sollte hier in Ostpreußen noch ein schwacher Nachklang zu vernehmen sein? Die Doppelbedeutung, die wir für fast alle älteren Malzeichen annehmen dürfen, hat auch unsere Bildsteine nicht ausgeschlossen. Dr. La Baume weist in seiner Arbeit "Bildsteine des frühen Mittelalters aus Ost- und Westpreußen" in "Blätter für deutsche Vorgeschichte" Heft 5/1927, Verlag Kurt Kabitsch-Leipzig, schon darauf hin, dass diese Steine für die Danziger Umgebung unmöglich slawischer Herkunft sein können, da die Ostseeprovinzen nie von Slaven besiedelt wurden, sondern von den Altpreußen; er spricht diese Denkmäler auch als den "Prussen" gehörig an. Wie meine Ausführungen noch zeigen werden, ist diese Ansicht sogar noch zu erweitern. Bei uns liegen die Dinge ähnlich. Auch unser Frankenland war nie vom Slavenvolke derart besiedelt, dass sich eine wendische Herrenschicht gebildet haben könnte. Der Erlanger Universitätsprofessor Freiherr v. Guttenberg konnte nachweisen, dass unsere "Wendendörfer" z.Zt. ihres "urkundlichen Auftauchens" nur zu oft aus kleinen Weilern bestanden haben. Dadurch ist es undenkbar, zu glauben, dass dieses Volk seine eigene Kultur oder gar seine eigenen Glaubensdenkmäler hätte der eigentlichen Urbevölkerung aufdrängen können. Die Slavenbesiedlung war in Franken nur von zweitrangiger Bedeutung, die Siedler waren viel mehr geduldete Nachbarn als wie Herren. Der Ebracher Stein, den Fritz Röll fand, muß also einer anderen Volksrasse zugeschrieben werden. Entstanden mag das Denkmal (seinem Äußeren nach zu schließen) entweder kurz vor oder während der Völkerwanderung sein; dass es vorgeschichtlich ist, glaube ich persönlich nicht.

   Ein Vergleich mit den verwandten Denkmälern Russlands lässt ohne weiteres eine gewisse Ähnlichkeit erkennen, und wenn diese Art von Denkmälern uns gerade in Russland bis an den Baikalsee usw. in größeren Mengen begegnet, in den Ostseeprovinzen jedoch in früheren Zeiten als erheblich zahlreicher vermutet wird, dann liegt es vielleicht doch nicht allzu fern zu glauben, dass diese Steine germanisch-gotischen Ursprungs sind. Die Gotenzüge von der unteren Weichsel in die Gegend des Schwarzen Meeres sind bekannt; wenn auch bis heute dieses Volk des Schwarzen Meeres in unserer Heimat nicht nachzuweisen ist, so steht der begründeten Meinung, dass sie es berührt haben könnten, nichts im Wege. Ist es nicht möglich, dass die bisher in Franken und Oberpfalz als der Merowinger Zeit zugesprochenen Gräberfunde, die vielfach griechische Einflüsse erkennen lassen, gar nicht merowingisch zu sein brauchen, sondern von gotischen Wandergruppen herrühren? Oder mindestens sind die Fundgegenstände unter deren Einfluß gefertigt, unsere Reihengräberfunde (Matzhausen bei Burglengenfeld z.B.) würden manchmal eine leichtere Erklärung finden. Der Handel mit dem Osten auf der Donau und auch auf verschiedenen Landwegen ist ja schon Jahrhunderte alt. Als die Franken die Umschlagplätze für diesen Handel endgültig regeln und festlegen (805), hat dieselbe bereits seine größte Blüte erreicht.

   Funde aus Gräbern weisen immer und immer wieder nach dem Osten, nach Griechenland oder zumindest auf griechische Einflüsse. Die Beobachtung, dass unter diesem Einfluß griechische Vorbilder meist nur schlecht und oft etwas barbarisch nachgeahmt sind, ist eine bekannte Tatsache. Deutet dieser Einfluß nicht eventuell näher auf gotische Ursprünge? Hat man seine Vorbilder vielleicht erst aus zweiter hand erhalten? Kulturträger waren die Goten auf alle Fälle und entlehnt haben sie das Gute wo es zur Verfügung stand. Es besteht somit begründete Hoffnung glauben zu dürfen, dass der Kulturaustausch mit den Schwarzmeergoten in Franken und Oberpfalz eine größere Rolle spielte als wie man bisher anzunehmen wagte.

   Am Balkan sitzen seit ältesten Zeiten illyrische Völker. Sie haben den Mütterkult und kennen bereits die Errichtung von Steinfiguren. Die "Babas" oder "Steinmütterchen" sind der Ausdruck ihrer religiösen Anschauung. Teile dieser Völker werden schon vor der Zeitenwende in größeren Mengen aus ihren Sitzen durch nordische Goten verdrängt und wandern die Alpen entlang, andere gehen den Flusslauf der Donau aufwärts, in Richtung nach Frankreich. Auch diese Wanderhorden ziehen schon bereits auf altbekannten Wegen der Väter. Sie nehmen ihre Kultur und ihren Glauben mit, stellen da und dort die Zeichen ihrer Ahnenverehrung, die Steinmütterchen in das Erdreich der zeitweiligen Heimat (Tramin-Tirol); wandern wieder weiter, bis sie sich endgültig festsetzten und in jahrhunderte langer Reihenfolge sich mit anderen Völkern vermischten und ein neues Volk bilden, die Gallier. Aus diesen Erkenntnissen heraus ist es nicht schwer, die in Frankreich vorkommenden Steinmütterchen zu erklären.

Bildstein von Tramin (Tirol)

Bildstein von Frescaty (Frankreich)
   Wir können den Kult der Mütterverehrung in Frankreich sehr frühzeitig verspüren. (Wenn man die dortigen Denkmäler in die jüngere Steinzeit versetzen will, so ist hierfür wohl nur das Äußere bestimmend gewesen, Primitivität allein aber ist noch kein Beweis für hohes Alter.) Auf diesen Steinen treten uns die Figuren bekleidet entgegen, mit richtigen Spangen und Schließen, die zweifellos nur aus Metall gemacht sein können. Hier in Spanien und Frankreich ist das "Steinmütterchen" noch eine richtige Frauenfigur mit wohl erkennbaren Brüsten. Aus diesen Gründen dürfen wir die französischen und spanischen Denkmäler ruhig zu den ältesten rechnen, haben doch die Wanderungen der Illyrer schon zur ausgehenden Bronzezeit, wenn auch nicht in großem Umfang, eingesetzt. Daß die Bildwerke "jungsteinzeitlich" sind, dürfen wir vorläufig ablehnen. Die nachfolgenden Perioden der Hallstatt und vor allem der La Tenezeit lassen schon etwas wie eine Hochflut von wandernden Menschen vermuten; sind doch unsere fränkischen Fachleute dazu geneigt, die Ringwälle unserer engeren Heimat in ihren ältesten Anlagen auf jene Illyrer zurückzuführen. Ist hier schon etwas von dem gotischen Druck im Osten zu spüren? Es ist möglich.

   Seit dieser Zeit ist der Strom des Wandervolkes bis herein in die Zeit der Frankenkaiser nicht mehr abgerissen. Die alten bekannten Handels- und Wanderpfade sind durch alle Jahrhunderte von Geschlecht zu Geschlecht übermittelt worden und haben den Kulturaustausch zwischen Ost und West zu einer Hochblüte verholfen. Es ist ja nicht gut denkbar, dass im Frühen Mittelalter urplötzlich ein Mensch auf den Gedanken kommen könnte, seinen Handelsweg einmal in umgekehrter Richtung durch unwegsames Gebiet zu ermöglichen! Solche Dinge gehen mühsam und langsam vor sich und benötigen lange Zeiträume zur Ausreifung. Der gewaltige Handel des Mittelalters mit dem Orient ist das Ergebnis ältester Tradition.

   Unser Frankenland war von jeher Grenzland. Aber Grenzland ist nicht nur Durchgangsland, sondern gerade derjenige Landstrich, in dem am meisten auch von aller durchziehenden Kultur hängen bleibt. Ist es so noch befremdlich zu glauben, dass am Zusammenfluß der zwei wichtigsten fränkischen Wasseradern Main und Regnitz, die von jeher die Straße des Handels bildeten (Karl der Große ist ja schließlich auch nicht von ungefähr auf die Örtlichkeit "Graben" gestoßen. Diese Wasserscheide muß schon Jahrhunderte vor ihm, ja selbst schon vor den Römern, den wandernden Menschen bekannt gewesen sein) ein besonderer Platz den Händlern so zusagte, da sie sich hier vielleicht einen fest bestimmten Platz für den Handel schufen. Kann hier nicht ein fremder Händler zur letzten Ruhe fern der Heimat gegangen sein, dem man dann in Anlehnung an heimische Sitte seinen Ahnenstein setzte? Vermutung! Allerdings! Aber wir haben vorläufig nichts anderes. Die Spatenforschung hat bisher auf diesem Gebiet versagt, weil sie den angeblich „geschichtlichen“ Dingen zu fremd gegenüber stand. Der Vorgeschichtler lächelt ja immer gerne über die Bücher- und Urkundenweisheiten der Historiker, während der Historiker für jeden Spatenstich von Herzen dankbar ist, der ihn in seiner Wissenschaft weiterhelfen kann, um sein mittelalterliches Urkundengebäude zu unterbauen. Hier könnte nun so ein Spatenstich geleistet werden!

   Es ist ja klar, dass an der wichtigsten Stelle im Herzen Frankens, bei Hallstadt in nächster Nähe von Bamberg, ein Königshof zu stehen kommen musste. Ging nun diesem Königshof wirklich nichts anderes voraus? Wurde er in die Wüste gebaut? Ich glaube nicht. Hier wollte ein fränkischer Herrscher einen uralten Umschlagplatz unter seine Kontrolle bringen, denn neben der Wasserstraße des Main und der Regnitz lief auch ein Landweg einesteils über Eger, andernteils hinab zur Donau. Daß jener "Markt" eine "Abzapfung" in späterer Zeit erfahren musste, ist folgerichtig. Dies konnte jedoch nur an einer solchen Stelle erfolgen, die ganz bestimmte Ähnlichkeiten mit der Bamberger aufwies; eben Fürth-Nürnberg. Näher eingehen will ich auf diese Sache vorerst nicht, denn ich wollte ja den Ebracher Fund publik machen.

   Unsere sogenannten "Bamberger Götzen" und vor allem der Ebracher Stein, den Fritz Röll fand, haben nun mit den älteren Funden von Tramin und Frescaty fast nichts anderes gemeinsam, als wie den Umstand, dass sie aus Stein sind und sehr primitiv gearbeitet wurden. Das gesamte Äußere aber hat sich in der Zwischenzeit doch grundlegend geändert. Aus dem "Steinmütterchen" wurde ein "Steinväterchen", alle weiblichen Reize gingen mit fortschreitendem Alter verloren und im Gesicht wuchs dem ehemaligen Mütterchen ein gewaltiger Bart; auch der weitere Habitus hat nicht gewonnen. Die Zeiten sind auch damals schon einem Wechsel unterworfen gewesen. Man war raschlebiger geworden, man verwandte nicht mehr die alte Sorgfalt auf die Herstellung der Denkmäler und so ließ man mit der Zeit die Attribute, wie Horn und Schwert usw. eben wg. Manches wird auch dem Verständnis nicht mehr ganz klar gewesen sein; aber auch andere geistige Strömungen spielten eine führende Rolle, das Eindringen eines "Väterglaubens".

   Diejenigen Volkseinheiten, die schon während der Bronze- und Hallstattzeit aus den Ursitzen auf dem Balkan abgewandert waren, nahmen noch den reinen unverfälschten Kult mit. Die Daheimgebliebenen beugten sich einer eindringenden neuen Kultur, die ihnen zwar "Neues" brachte, aber doch im innersten Kern nicht ganz fremd war. Die äußere Form der Denkmäler änderte sich, die alten Namen wie "Mütterchen" jedoch blieben. Diese neue Kultur auf dem Balkan war nur möglich durch ein Volk, das selbst den Steinkult in ähnlicher Form hatte; die Vermischung war dann nur eine Folgeerscheinung. Der Steinkult des Nordens ist heute eine bekannte Tatsache, sodaß es sich erübrigt, darüber zu schreiben. In dieser vermischten und jüngsten Form, ist der Kult der Bildsteine auch zu uns nach Franken gekommen. Auf welchem Wege? Dies genau festzustellen, dürfte die Arbeitskraft eines Spezialisten in Anspruch nehmen und kann von mir nicht verlangt werden.

   So ist es möglich, die bisher als slavische Kulturerscheinung der "Steinmütterchen" als gar nicht slawisch zu erkennen. Vielmehr ist dieser Ausdruck einer religiösen Anschauung mehreren Völkern zu eigen, die wohl allgemein der Indogermanischen Rasse zugehören dürften. Jeder Volksteil hat sich im Laufe der Zeit den Kult nach seinem Geschmack ausgebaut, bis der nordische, kräftigere, aber wesensverwandte die Oberhand über den Süden gewann und auch dem dortigen Kult seinen Stempel aufdrückte. Die Züge dieses nordischen Volkes an das Schwarze Meer sind bekannt. Das Abdrängen der alten Kultur habe ich versucht darzulegen. Die weiteren Fahrten der Goten vom Balkan nach Osten und Westen sind geklärt. Ist es da ein Wunder, wenn wir am Baikalsee und zugleich in Spanien und Frankreich Dinge finden, die einander ähnlich sind? Und in Franken, dem Lande der Mitte? Da finden wir zwangsläufig die Spuren des Durchgangs dieser alten Völker, des Durchgangs, der Jahrhunderte gewährt hat. Wenn wir uns in Zahlen versteigen wollen, dann dürfen wir sagen, daß diese Durchzüge ein volles Jahrtausend gewährt haben. Burgen sind bei uns gewachsen wie die Houbrig bei Hersbruck; Kultplätze sind bis heute durch Namen überliefert (die Blei-, Blech- und Peilstein). Es sind grobe und gewaltige Felsmassen, wie sie die natur bildet. Die jüngste, bereits geschichtliche Zeit, hat uns in den Bildsteinen Denkmäler an den Weg gestellt, die von Menschen geschaffen wurden, die aus der alten Heimat ausgezogen, um eine neue zu finden, oder die Handel trieben mit dem Volke der Mitte.

   Daß sich bei uns dann gerade Dinge erhalten konnten durch Überlieferung und Sage, ist klar, weil unsere Heimat erst viel später entdeckt wurde, und dass die späteren Ausflüsse einer fremden Kultur bei uns aufgefallen sind und heute noch spürbar sind, ist verständlich; dass sie wendisch oder slavisch sein mussten, ist nicht unbedingt notwendig. Es genügte, wenn sie "fremd" waren. Ist die Witzenhöhle der "alte Slaventempel" nicht auch solch eine Erscheinung? Ich will antippen, Gedanken habe ich sowieso „fast zu viele“ ausgesprochen.

   Mögen meine Mitarbeiter durch das Vorstehende erkannt haben, wie wichtig unsere Inventarisation ist, denn nur durch das systematische Durcharbeiten des gesamten Denkmalbestandes ist es möglich, die ältesten Stücke aufzufinden. Ich war mir vor Jahren, als ich die Steinkreuzforschung ins Leben rief, bewusst, dass viele, viele Denkmale noch vorhanden sind, von denen die Fachliteratur nichts weiß und ich wusste auch, dass diese Denkmäler uns vor Rätsel stellen würden, die aber auch des Steinkreuzrätsels Lösung bringen werden. Die kette vom Entwicklungsgang der Steinkreuze ict wieder um ein Glied enger geworden, Konturen zeichnen sich bereits ab. Es ist nur noch nötig, diesen Konturen feste Formen zu geben und wir werden nachweisen können, dass sich eine gerade Linie vom Menhir der alten Steinzeit bis zum Steinkreuz herauf verfolgen lässt und, dass die germanisch-nordische Idee vom Gedächtnis an den Toten eine der gewaltigsten, wenn nicht die gewaltigste des kulturellen Lebens überhaupt gewesen ist. Zur weiteren Arbeit aber rufe ich besonders die Ostmark auf, mitzuhelfen und hier speziell die Mitarbeiter der Gegend von Neuburg vor dem Wald bis hinab zur Donau. Hier in diesem Zwickel, den ich von vielen Gängen her selber ziemlich gut kenne, werden die Denkmäler zu finden sein, die die Kette unserer Erfahrungstheorie schließen werden. Unserem altbewährten Freund Fritz Röll aber schütteln wir kräftig die Hand zum Dank für fleißige und teure Arbeit; möge er viele Nachahmer finden.
(Das Steinkreuz, 8.Jg., 1940, S.3-11)

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Die ältesten Steindenkmäler Sachsens
Von Otto Eduard Schmidt, Dresden-A., Blochmannstr.7

Abb.1 Der Pegauer Stein
Aufnahme aus dem Heimatschutzarchiv

Abb.2 Das slawische Götzenbild im Kirchturm zu Zadel
(aus Kursächsische Streifzüge, Band III, Verlag der Wilhelm und Bertha von Baensch-Stiftung)

Abb. 4 Der Kühnhaider Stein
Vorderseite
Aufnahme aus dem Heimatschutzarchiv

Abb. 5 Der Kühnhaider Stein
Rückseite
Aufnahme aus dem Heimatschutzarchiv

   Lange Jahre beschäftigt mich schon die Frage, seit welcher Zeit im Gebiet unseres Sachsenlandes Steine im Dienst einer religiösen Vorstellung oder einer anderen Idee künstlerisch behauen worden sind. Die nur auf die Herstellung von Waffen oder Geräten abzielenden Steinarbeiten aus der sogenannten Steinzeit und der ihr folgenden Epoche kommen hier natürlich nicht in Frage. Denn die Beile, Hämmer, Äxte, Pfeil- und Lanzenspitzen, Messer, Mahlsteine offenbaren ja kein eigentlich künstlerisches Schaffen, soweit sie nicht, wie manche französische und schweizerische Fundstücke dieser Art, mit eingeritzten Tierbildern verziert sind.
   Als ältesten künstlerisch behandelten Stein konnte ich bisher den in der Gegend von Pegau gefundenen, jetzt im Museum des sächsischen Altertumsvereins verwahrten großen Stein ansehen, den ich zuerst im Jahre 1914 in dem Buche "Kunst und Kirche" besprochen und veröffentlicht habe (S.21 und Tafel 1). Ich halte ihn für ein an hervorragender Stelle angebrachtes Monument, das die unter König Heinrich etwa um 920 von der Saale an die Weiße Elster vorgerückte deutsch-slawische Grenze bezeichnen sollte. "Der Pegauer Stein zeigt auf der einen Breitseite einen roßführenden deutschen Jüngling, ein Hinweis auf die durch König Heinrich geschaffene Volksreiterei; auf den Schmalseiten sehen wir einen Schleuderer mit der Tartsche, der seinen tödlichen Stein soeben auf einen an der gegebüberliegenden Wange dargestellten Drachen, das Symbol des Heidentums, abgeschnellt hat; die Vorderseite aber zeigt die Grenzlinie, von der links ein deutscher und rechts ein slawischer Reiter sein Roß pariert" (s. Abbildung 1). Zum Vergleiche kann man immerhin den um etwa zwei Jahrhunderte älteren, also um das Jahr 700 gemeißelten Reiterstein von Hornhausen im Kreise Oschersleben heranziehen, der ein Glanzstück des Provinzialmuseums für Vorgeschichte zu Halle bildet (s. Abbildung auf S.61 des von Hahne verfassten Katalogs dieses Museums).
   Ein mindestens ebenso hohes Alter wie der Pegauer Stein können die wenigen echten slawischen Götzenbilder für sich in Anspruch nehmen, die uns ein glücklicher Zufall erhalten hat. Vor allem der in Zadel bei Meißen im Innern des Kirchturms eingemauerte Steinkopf, den ich zuerst im Neuen Archiv für Sächsische Geschichte XXXII, S.350 veröffentlicht und besprochen habe (S. Abbildung 2). Dieses Götterbild, ein Ungeheuer mit breitem Kopf, glotzenden Augen, weitgeöffnetem Mund und fletschenden Zähnen, ist vor allem geeignet, Furcht und Entsetzen einzuflößen.
   Nicht allzu viel jünger als der Pegauer Stein sind die ältesten christlichen Steindenkmäler unseres Landes. Das jetzt im Museum des Sächsischen Altertumsvereins in Dresden aufgehobene Bogenfeld von der Kirche zu Elstertrebnitz bei Pegau (s. Abbildung 3) zeigt in der Mitte die bartlose, aus einem Sockel hervorwachsende Büste des Heilands. Mit der zum Schwur erhobenen Rechten verspricht er dem seitwärts stehenden Priester das Himmelreich. Dieser steht zwischen einer kreisrunden, narzissenartigen Blüte und einer Lilie und hält zum Zeichen seiner Reinheit eine Lilie in der Hand. Mit der Linken hebt Christus die Heilige Schrift empor (AΩ), zu ihr erhebt sich ein neben einem Kruzifix stehender neubekehrter Slawe betend die Hände. Er ist durch die begleitende Gans als slawischer Bauer gekennzeichnet. So bewahrt uns dieser Stein eine wertvolle Erinnerung an die Bekehrung der Elsterslawen zum Christentum, und damit ist die Zeit seiner Entstehung gegeben: er gehört in das Zeitalter des Wiprecht von Groitsch und seiner Gemahlin Judith, also ums Jahr 1100.


Abb.3 Das Bogenfeld von Elstertrebnitz (Sächs. Inventarisationswerk)

   Soeben erfährt die kleine Zahl der ältesten künstlerisch behauenen Steine Sachsens dadurch eine ungeahnte Vermehrung, dass ein auf sächsischem Boden gefundener Stein zu ihnen tritt, der vielleicht noch älter ist als die genannten: der Stein aus dem Torfmoor von Kühnhaide. Er ist nicht eben jetzt neu gefunden worden, sondern schon vor sechsundvierzig Jahren, aber er ist doch wie ein neuer Fund, weil er inzwischen wieder fast ein halbes Jahrhundert lang verschollen war. Er ist nämlich - doch ich will lieber, um allen bei der Neuauffindung Beteiligten gerecht zu werden, den Sachverhalt der Reihe nach erzählen, wie er sich zugetragen hat. Im Frühjahr 1924 schrieb der als Waffenforscher bekannte Besitzer des Schlosses Pfaffroda, Dr. Diener von Schönberg, erst an den Landesverein Sächsischer Heimatschutz, später (4. August 1924) auch an den Direktor des Museums für Völkerkunde, Prof. Dr. Jacobi, ein Herr Weigelt in Olberenhau habe ihm mitgeteilt, im Jahre 1880 sei in der Nähe von Kühnhaide, wo Weigelt damals wohnte, in einem Torfmoor, wo sonst überhaupt keinerlei Steine vorkommen, ein Stein ausgegraben worden, der der Annahme nach von den vorchristlichen Bewohnern der dortigen Gegend stamme. Der Stein sei etwa fünfzig Zentimeter hoch, vierzig Zentimeter breit und fünfundzwanzig Zentimeter stark gewesen, nach oben hin ungefähr eine Dreiecksform zeigend. Auf der Vorderseite sei, ziemlich plump und mit primitiven Werkzeugen ausgeführt, aber nicht ohne Geschicklichkeit dargestellt, ein Kopf eingemeißelt gewesen mit einem Teil der Brust, und unter dieser Darstellung eine Reihe von Schriftzeichen, die man damals nicht zu deuten verstand. In der unteren Fläche hätte sich ein Loch befunden, als ob der Stein auf einem andern aufgesessen habe. Der Stein sei damals eine Zeitlang im Gasthof von Karl Martin in Kühnhaide ausgestellt gewesen. Dort habe ihn Lehrer Thaermann aus Lauta bei Marienberg entdeckt, gekauft und, wie damals auch in den Dresdner Nachrichten gestanden haben soll, in ein Wiener Altertums-Museum verkauft. Es möchten Nachforschungen in Wien angestellt werden und womöglich eine Photographie des Steines beschafft werden.
   Der Landesverein schickte den Brief Dr. Dieners von Schönberg an mich mit dem Ersuchen, Nachforschungen über den Stein anzustellen. Meine Erkundigungen waren zunächst erfolglos, bis ich im August in die staatliche Sammlung für Vorgeschichte kam und von Dr. Bierbaum, den ich über den Stein befragte, erfuhr, er befinde sich im Obergeschoß des Zwingerpavillons, der die vorgeschichtliche Sammlung beherberge, in der Ecke zwischen der Wand und einem Schrank, er sei auch schon Herrn Dr. Diener von Schönberg beschrieben und von dessen Gewährsmann Weigelt als eben der Kühnhaider Stein erkannt worden, den er vor mehr als vierzig Jahren gesehen habe. So war denn der Verkauf des Steines nach Wien glücklicherweise eine bloße Legende ohne jeden tatsächlichen Hintergrund. Der Stein hatte die ganze Zeit unbeachtet in seinem Versteck gestanden; nur einmal, sehr bald nach der Auffindung, hatte ihn Hofrat Dr. Geinitz in der Dresdner "Isis" gezeigt und darüber in den Sitzungsberichten der Isis zu Dresden, 1878 S.146, folgendes mitgeteilt: "Von dem Vorsitzenden (Hofrat Dr. Geinitz) wird hierauf ein Steinbild vorgelegt, das sich als wahres Vollmondgesicht eines Mannes mit eigentümlichen Runen oder Schriftzeichen zusammen auf einem Gneißblocke befindet, welcher vor kurzem etwa sechs Fuß tief unter der Erdoberfläche in einem Torfstich bei Kühnhaide unweit Marienberg im Erzgebirge entdeckt worden ist. Da dieser sechzig Zentimeter hohe und vierzig Zentimeter breite, etwa zehn Zentimeter dicke Gneißblock in den Besitz des K. Mineralogisch-Geologischen Museums übergegangen ist, so behält sich der Vortragende vor, später weitere Mitteilungen darüber zu geben. Zunächst hat sich nur die Echtheit des Fundes feststellen lassen, von welchem die erste Nachricht durch Herrn Student hans Schaarfschmidt hierher gelangt ist und von welchem auch Herr Hugo Thaermann in Lauta bei Marienberg später Kenntnis erhielt. Der Letztere hat darüber bereits im "Erzgebirgischen Nachrichts- und Anzeigenblatt", 1878, Nr.83, unter dem Namen "das Kühnhaider Götzenbild" eine eigentümliche Kritik veröffentlicht, außerdem aber den Transport nach Dresden vermittelt."
Hofrat Geinitz ist offenbar nicht dazu gekommen, sich erneut mit dem Kühnhaider Stein zu beschäftigen, und so blieb er verschollen, nicht einmal eine Abbildung ist davon in die Öffentlichkeit gelangt. Deshalb erbat ich mir von der Direktion der vorgeschichtlichen Sammlung die Erlaubnis publizieren zu dürfen. Die hier wiedergegebenen Aufnahmen (Abbildung 4 und 5) sind auf Veranlassung des Heimatschutzes von Herrn Georg Schäfer hergestellt worden. Das vorläufige Ergebnis meiner Untersuchung, bei der ich von den Herren Professor Dr. Jacobi, Dr. Bierbaum, Dr. Pinther, Dr. Wünsche und von Herrn Direktorialassistenten an der staatlichen Skulpturensammlung Dr. Müller freundlichst unterstützt wurde, ist folgendes:
   Der Kühnhaider Stein ist ein Block des körnigen, roten Eruptiv-Gneises, wie er in der Gegend von Kühnhaide fast überall angetroffen wird. Man wird also mit der Möglichkeit zu rechnen haben, daß das Bildwerk unweit der Fundstelle entstanden sein kann. Das auf unserer Abbildung nicht sichtbare, in der Mitte der unteren Schmalfläche befindliche Zapfenloch macht es wahrscheinlich, daß der dreieckige Stein entweder auf einem Postament aufsaß oder mit einer anderen Steinplatte verbunden war, die die Fortsetzung des Körpers enthielt, dessen Kopf auf dem erhaltenen Block dargestellt ist. Ich ziehe zunächst die erste Absicht vor, da die ganze rohe Gestalt des Blockes nicht dafür spricht, daß der Verfertiger des Steinbildes mehrere solcher Blöcke zusammengesetzt habe. Der eingemeißelte bartlose Kopf ist mit sehr einfachen Mitteln in den Gneis vertieft, aber doch schon mit Anwendung eines Steinmeißels. Zu beachten ist auch, daß der Bildner den Versuch gemacht hat, die Pupille in der Mitte des Auges durch eine Vertiefung anzudeuten. Trotz der Schlichtheit der Arbeit zeigt der Kopf, vielleicht ist es Zufall, einen gewissen Ausdruck der Müdigkeit oder der Milde. Schon aus diesem Grunde wird man kein slawisches Götterbild in dem Kopfe finden können. Alles, was wir von der Darstellung slawischer Götter wissen, widerspricht diesem Bilde. Hier ist nichts Drohendes, nichts Schreckendes, wie bei dem Zadeler Stein. Über dem Kopf findet sich ein System vielleicht korrespondierender vertiefter Linien, durch einzelne kleine Bruchflächen unterbrochen, die ebenso gut Reste einer Bekrönung des Kopfes wie Schriftzeichen darstellen können. Ebensolche Schriftzeichen finden sich auf der Rückseite des Blocks. Es wird von diesen beiden Stellen in diesen Tagen mit weicher Papiermasse ein Abklatsch gemacht werden, der die Bestimmung der Zeichen erleichtern wird. Aber soviel läßt sich heute schon sagen, daß diese Schriftzeichen entweder germanische Runen oder griechische Buchstaben darstellen. Vor kurzem ist bei Asch in Böhmen ein kleiner Sandstein gefunden worden, der Runenzeichen trägt.
"Die Museumsverwaltung in Asch stellte fest, daß es sich hier um ein echtes Fundstück aus germanischer Vorzeit handelt. Die in den Stein tief eingeschnittenen Runenzeichen sind die Buchstaben G und A des gemeingermanischen Runenalphabets. In dem Fund erblickt man einen Beweis für die geschichtliche Annahme, daß vor mehr als fünfzehnhundert Jahren in der Gegend von Asch, Elster und im Erzgebirge Germanen ansässig gewesen sind, die über das Fichtelgebirge herüber den andrängenden Slawen entgegengezogen waren (Dresdner Anzeiger 1924, 24.Sept.)." Ich habe mich bereits mit der Museumsverwaltung in Asch in Verbindung gesetzt, um ein Bild dieses Fundes zum Vergleich zu erlangen.
   Sollten sich die Schriftzeichen auf dem Kühnhaider Stein als Runen erweisen, so könnte man wohl annehmen, daß das Bild ein germanisches Heiligtum war, das bei einer Wanderung über das Gebirge im Moore verloren oder versenkt wurde, oder daß es, wie der Hornhausener Reiterstein, das Gedächtnis an das Grab eines auf der Heerfahrt umgekommenen Fürsten oder Helden festhalten sollte. Die Wahl des am Fundort vorhandenen, sonst für ein Bildwerk wenig geeignetes Gneises und die offenbar flüchtige Art der Arbeit würden dafür sprechen.
   Sollten sich die Schriftzeichen als griechische erweisen, so würde man in dem Kopfe eines ganz alten schlichten Typus des Bildes Christi erkennen dürfen, einen Vorläufer des ebenfalls kreisrunden, bartlosen Christuskopfes von Elstertrebnitz (s. Abbildung 3). Die ersten Schriftzeichen auf der Rückseite des Steines lassen sich allenfalls als XP = (Christos) deuten, und gerade diese beiden Buchstaben sind ja auch ein sehr altes, schon auf den Feldzeichen (labarum) Konstantins des Großen vorkommendes Symbol des christlichen Kultus. In diesem Fall eröffnet sich eine ganze Reihe von Deutungsmöglichkeiten. Vielleicht hängt dieses Steinbild irgendwie mit dem Kriegszuge zusammen, auf dem Bischof Arno von Würzburg am 13. Juli 892 gegen die heidnischen Slawen in der Nähe des Flusses Chemnitz fiel, oder die Tätigkeit der Slawenapostel Methodios († 885) und Kyrillos hat auch einen Missionszug über das Erzgebirge zu den Elbslawen veranlaßt, bei dem dieses steinerne Kultbild für ein augenblickliches Bedürfnis geschaffen und dann verloren wurde, oder es bezeichnete den Weg, auf dem die böhmische Prinzessin Judith als Braut Wiprechts von Groitzsch über das Gebirge kam. So umschweben unser Kühnhaider Steinbild eine ganze Reihe ungelöster Rätselfragen, und es könnte Befremden erregen, daß ich, ohne die Untersuchung zu Ende geführt und ohne mich selbst für eine der Möglichkeiten entschieden zu haben, schon heute diesen Aufsatz in so unfertiger Gestalt herausgebe. Aber gerade dadurch hoffe ich um so mehr Teilnahme für den rätselvollen Stein zu erwecken und Nachrichten darüber zu erhalten, ob etwa jemand von einem ähnlichen Fund auf sächsischem oder Sachsen benachbartem Boden gehört hat. Vor allem bitte ich die kleinen Museen des Landes und alle Privatsammler, die ein ähnliches Fundstück in Besitz haben sollten, mir gütigst davon Mitteilung zu machen. Denn in jedem Fall eröffnet der Kühnhaider Stein ein weiteres Gesichtsfeld in eine ferne Vergangenheit unseres Landes und auf Anfänge einer Kultur, von der wir noch keine festumrissene Vorstellung haben.

Nachtrag. Als dieser Aufsatz schon gesetzt war, fand sich in einem Schranke der staatlichen vorgeschichtlichen Sammlung eine Bleistiftzeichnung der Vorder- und der Rückseite des Kühnhaider Steines in der Viertelgröße des Originals und zwei danach hergestellte Lichtdruckabzüge, deren Veröffentlichungsort ich noch nicht ermitteln konnte.

(Landesverein Sächsischer Heimatschutz, Mitteilungen Heft 7-8, Band XIII, 1924, S.305-312)

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Sühnekreuze & Mordsteine