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Gottesurteile, Ordalien


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   Das Gottesurteil (judicium dei, - ags. ordál, an. skirsl [ = Reinigung]) setzt voraus, daß von der Gottheit die Enthüllung des Wahren schlechterdings erwartet wird. Auf dem ererbten Boden ihrer heidnischen Gottesvorstellungen, wonach weder Allwissenheit noch Wahrhaftigkeit zum Wesen der Gottheit gehörte, konnten die german. Völker diese Voraussetzung nicht erfüllen. Folgt schon hieraus im Gegensatz zur herrschenden Lehre der Satz, daß erst durch Vermittelung des Christentums das Gottesurteil ins german. Recht gekommen sein kann, so wird er bestätigt durch die Wahrnehmung, daß von einem national-skandinavischen Gottesurteil schlechterdings nichts irgendwie verlässig überliefert ist, daß insbesondere der gemeiniglich für ein Gottesurteil ausgegebene Zweikampf in den skand. Quellen zu keiner Zeit als ein solches hingestellt wird. Erst von Deutschland aus hat der Norden das Gottesurteil bezogen, was nicht einmal ohne Mißverständnisse seines Wesens abgegangen ist. Auch bei den Südgermanen aber waren die Gottesurteile weit weniger im Schwang als gewöhnlich geglaubt wird. Das angelsächsische Recht z.B. kannte wahrscheinlich vor dem 9. Jahrh. kein Gottesurteil, das altbairische und altlangobardische Recht keines außer dem Zweikampf, von dem wir wissen, daß er ursprünglich weder Gottesurteil noch überhaupt Beweismittel wrar. Auch die andern Stammes- oder Landesrechte haben immer nur wenige von den sämtlichen bekannten Gottesurteilen und zuweilen nur eines für eine bestimmte Personenklasse rezipiert. Überdies endlich finden sich auch in südgermanischen Recht Spuren einer mehr mechanischen als verständnisvollen Rezeption, wie z.B. das Verstärken des Ordals, die Zulassung eines Gegenordals. Vermutlich ist der Orient die Heimat des germanischen Gottesurteils ebenso wie so mancher scheinbar germanischer Volkstraditionen. Das germanische Recht verwendet das Gottesurteil stets nur als subsidiäres Beweismittel, nämlich zur Bestätigung eines gescholtenen oder an sich scheltbaren Eides, dann aber auch zum Ersatz einer nicht zu erlangenden Eideshilfe. Daher dient das Gottesurteil historisch zum Ersatz des Zweikampfes, wofern dieser abgeschafft wird, wie z.B. in Dänemark (10. Jahrh.), bei den Angelsachsen, bei den Friesen, denen daher auch das Gottesurteil ein "Kampf" oder "Streit" heißt. Unter den sämtlichen überlieferten Gottesurteilen haben wir eine ältere von einer Jüngern Schicht zu unterscheiden, in beiden Schichten wiederum die echten Gottesurteile von unechten. Das echte Gottesurteil ist streng einseitig, d.h. es wird lediglich durch eine Handlung dessen erbracht, der sich reinigt. Es ist ferner im strengsten Sinne Beweismittel, d.h. immer nur fähig, über Tatsachen Auskunft zu erteilen. Es ist endlich stets mit kirchlichen Kultakten verbunden; es hat seine Liturgie. Die echten Gottesurteile älterer Art sind "Elementordale", nämlich die Probe mit siedendem Wasser oder der Kesselfang (ags. wæterordál, fries. weterkamp, - ketelfang, an. ketilfang, ketiltak) und die Feuerproben des Haltens der Hand im Feuer, des Tragens von glühendem Eisen (wn. jamburdr, on. jærnbyrp) und des Ganges auf glühenden Pflugscharen. Unechte Gottesurteile entstanden, indem der Zweikampf und das Losorakel unter die Gottesurteile aufgenommen wurden. Die Zwitterhaftigkeit des unechten Gottesurteils zeigt sich am schlagendsten im Kampfurteil: einerseits fiel nunmehr das Erfordernis des persönlichen Fechtens fort, wurde sogar Stellvertretung der Partei durch einen gedungenen "Kämpen" zugelassen und ein eigener Zweikampf zwischen Mann und Frau ausgebildet. Anderseits unterließ man die Ausbildung einer kirchlichen Liturgie und hielt man im Prinzip an der Tötlichkeit des Kampfausgangs fest, führte sogar die Todesstrafe für den unterliegenden Kämpfer ein, so daß nach wie vor der Zweck des Kampfes über den eines bloßen Beweismittels hinausging. Einige Rechte kannten überhaupt keine unechten Gottesurteile, so namentlich die skandinavischen. Die jüngere Schicht der Gottesurteile besteht aus den Proben des kalten Wassers, des geweihten Bissens (ags. corsnæd), des Abendmahls, des Psalters, der Hexenwage, welche insgesamt echte Gottesurteile sind, und dem unechten, zum Ersatz des Zweikampfes dienenden, der Kreuzprobe. Mit dem 9. Jahrh. begann eine kirchliche Opposition gegen die Gottesurteile. Im Bund mit dem noch älteren Mißtrauen gegen die Verlässigkeit der gebrauchten Mittel gelang es ihr, die Gottesurteile während des Mittelalters zurückzudrängen, in einigen Rechtsgebieten sogar vollständig abzuschaffen.
   Während das Gottesurteil von Anfang an im ordentlichen Prozeß seine Stelle fand, hat sich die Fortbildung des Erfahrungszeugnisses zu einem materiellen Beweismittel überall außer auf Island zunächst im außerordentlichen Prozeß vollzogen. Dieses materielle Beweismittel ist das Institut der Jury. Drei Entstehungsherde desselben lassen sich nachweisen: das fränkische Königsgericht, das dänische Königsgericht, das isländische Gericht. Von Dänemark aus hat sich die Jury nach Schweden verbreitet. Die selbständige Entwicklung des Instituts in seinen drei Hauptgebieten spricht sich in den Verschiedenheiten der drei entsprechenden Systeme aus, welche sich hauptsächlich auf die Zahl, die Art der Beschaffung, Legitimation und Vereidigung der Geschworenen, auf das Verhältnis derselben zu Parteien und Richter sowie zu andern Beweismitteln, auf die Dauer ihrer Tätigkeit, endlich auch auf die ursprünglichen Anwendungsfälle der Jury beziehen. Nicht minder aber spricht es sich in der selbständigen Terminologie aus: der Beweis mit Geschworenen ist bei den Franken das Verfahren mit inquisitio und im mittelalterlichen Deutschland das Verfahren mit kuntschaft, im on. Gebiet das Verfahren mit næfnd (in Jütland für bestimmte Fälle sanænd man), auf Island das Verfahren mit kvdr (bzw. mit sanndrar menn). Die sämtlichen Beweismitteln dieser Art gemeinsamen Grundzüge aber sind, daß Auskunftsleute, die nicht Augen- und Ohrenzeugen zu sein brauchen, auf ihren Eid ihre Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit eines Tatbestandes aussprechen. Überall ist demnach für das neue Beweismittel dessen Zweischneidigkeit charakteristisch. Daher wurde es zum Ersatz von Gottesurteil und Zweikampf benützt und von skandinavischen Recht zu solchem Zweck in den ordentlichen Prozeß eingeführt.
   Die sonstigen Neuerungen von Belang, welche das System des Beweisrechts während des Mittelalters, bei den südlichen Stämmen teilweise noch früher und unter römischem Einfluß, durchbrochen haben, können hier nur genannt werden: die Legitimation des Eidhelfers nach Analogie der Zeugen, das Überbieten von Parteieneid und Erfahrungszeugnis durch Gegeneid und Gegenzeugnis, die Ein führung der Urkunde, d.h. des schriftlichen Zeugnisses als Beweismittel oder doch als Mittel der Beweiserleichterung, die (spätmittelalterliche) Herübernahme des Überführungseides ("Übersiebnens") aus dem außerordentlichen Verfahren wegen handhaften Friedensbruches in den ordentlichen Strafprozeß und der Ersatz dieses Beweismittels durch die Tortur gegen Freie im außerordentlichen Strafprozeß sowie das außerordentliche Verfahren auf Indizien und Leumund gegen Gewohnheitsverbrecher ("schädliche Leute"), die Beweisführung gegenüber dem Richter bzw. Urteiler, letztere, die wichtigste von allen Neuerungen, zuerst im langobardischen Prozeß seit dem 8. Jahrh.
(Amira, Karl von - Grundriss des germanischen Rechts, 1913, S.277-280)

Vollzug des Gottesurteils, dem die Kaiserin Kunigunde zum Beweis ihrer ehelichen Treue sich unterwarf.
Von zwei Bischöfen geführt, überschreitet sie den glühenden Rost. Der Kaiser schaut traurig sinnend zu. Im unteren Bilde steigt die Kaiserin vom Rost herab und legt ihre Hände verzeihend auf Heinrichs Haupt.
Aus der handschrift "Henrici et Cunigundae vita“; in der Stadtbibliothek zu Bamberg.
Quelle: Henne am Rhyn (1886)

Gottesurteile im Sachsenspiegel (1225-1235):
oben: Bis zum Ellenbogen in einen Kessel mit siedendem Wasser fassen.
mitte: Wasserprobe (l.) und tragen des glühenden Eisens (r.)
unten: Schwur auf das Reliquiar (l.) und Wasserprobe (r.)
Quelle: sachsenspiegel-online.de

   Gottesurteile, Ordalien, ordalia, das lateinische Wort zufällig nach der angelsächsischen Form ordale des deutschen Wortes urteil gebildet. Man versteht darunter Proben, an deren Ausgang man einen Aussprach der Gottheit über Schuld oder Unschuld, Recht oder Unrecht zu erkennen glaubte. Sie kamen auch bei anderen Völkern vor, bei den Griechen, namentlich aber den Indiern.
   Die Arten der Gottesurteile bei den Germanen sind folgende:
   1) Das Kampfurteil oder der Zweikampf, judicium pugnae sive campi, pugna duorum, duellumm monomachia, singulare certamen, abd. einwic, chamfwic, wêhadinc, altn. holmgangr, war das vornehmste Gottesurteil, und ursprünglich keinem germanischen Volke fremd. In der Regel konnte nur der freie Mann einen anderen zum Zweikampfe, fordern, der schlechtere Mann aber konnte, wenn er angesprochen wurde, den Kampf nicht weigern. Personen, die nicht selbst zu kämpfen im stande waren, konnten oder mussten, je nachdem sie Kläger oder Beklagte waren, einen anderen für sich stellen, und zwar konnte dies entweder der Vogt als Vormund der Person sein, die ihr Recht durch Kampf geltend machen wollte, oder sonst jemand, der sich freiwillig oder für Geld dazu hergab. Das Recht aber, einen anderen als Kämpfer für sich zu stellen, stand allgemein zu: 1) denjenigen, die durch körperliche Mängel, durch Altersschwäche oder Jugend verhindert waren, selbst zu kämpfen; 2) den Weibern. Den letzteren war, wenn sich niemand fand, der für sie einstehen mochte, in späterer Zeit gestattet, sich selbst zu verteidigen, wofür, um die Kräfte auszugleichen, eigentümliche Arten des Weiberkampfes ersonnen wurden, wonach der Mann bis an den Gürtel in einer runden, etwas weiten Grube zu stehen und von da aus vermittelst des Kolbens mit der ausserhalb der Grube stehenden Frau kämpfen musste; 3) den Geistlichen; 4) Personen vornehmen Standes. Bei den Langobarden war es Sitte, die Kampfordale durch gemeine, bezahlte Kämpfer ausfechten zu lassen. Da der gerichtliche Zweikampf im späteren Mittelalter eher zunahm, so bildete sich in verschiedenen Ländern ein eigener Kampfprozess. Durch Privilegium waren gewisse Orte zu Kampfgerichten erhoben, oder gewissen mit Gerichtsbarkeit bekleideten Personen das Recht erteilt, dass alle Zweikämpfe innerhalb eines gewissen Distriktes unter ihrer Aufsicht und Leitung ausgefochten werden mussten. Besonders bekannt waren im 14. und 15. Jahrhundert die Kampfgerichte der Städte Hall in Schwaben, Ansbach, Würzburg, des Burggrafenturns Nürnberg, des Landgerichtes zu Franken. Der Kampfplatz wurde von dem Richter angewiesen, doch hatte man auch bestimmte umzäunte Plätze dafür; von der Insel, auf welcher im Norden meist der Kampf vor sich ging, hiess hier der Zweikampf Holmgang. Zum Holmgang wurde eine fünf Ellen lange Haut oder ein Teppich hingelegt und an vier Pfählen befestigt, deren einer der Hauptpfahl, Tiosnur, hiess. Der, welcher den Fechtplatz zurichtete, musste zu diesen Pfählen rückwärts gehen, gebückt und seine Ohrläppchen haltend, so dass er den Himmel zwischen seinen Beinen durchsehen konnte, und eine Beschwörungsformel hersagen. Um den Teppich herum sollten drei Räume, jeglicher einen Fuss breit, und diese durch vier Stangen begrenzt sein. Der so eingerichtete Fechtplatz hiess eine befriedete Mark. Jeder sollte drei Schilde haben; wenn diese zerschlagen sind, muss man wieder, wenn man auch früher zurückgewichen war, auf den Teppich treten und die Hiebe mit den Waffen auffangen. War einer so verwundet, dass Blut auf die Erde fiel, so konnte man den Kampf als beendet ansehen. Wer so weit gewichen war, dass er mit beiden Füssen ausserhalb der Grenzstangen stand, war in die Flucht geschlagen. Jeder Streiter sollte einen Mann als Schildhalter bei sich haben. Der, welcher überwunden war, musste drei Mark als Lösegeld für sein Leben erlegen.
   Auch in Deutschland war eine Art Sekundanten üblich, die Griz- oder Grieswärtel. Sie waren mit langen Stangen oder Bäumen bewaffnet, welche sie mit Erlaubnis des Richters dem Sinkenden, Verwundeten oder Ermatteten zur Stütze darreichten. Auch hatten sie überhaupt dafür zu sorgen, das bei dem Kampfe alles ohne Trug, List und Gefährde zuging, sie mussten Sonne und Wind, Licht und Schatten beiden Kämpfern gleich teilen.
   Die Waffen waren ursprünglich die bei jedem Stamm gebräuchlichen: bei den Franken und Langobarden die Keule, bei den Alamannen, Sachsen, Friesen und Normannen das Schwert. Ritter erschienen später in voller Rüstung auf dem Kampfplatze, den übrigen Freien war eine eigene Rüstung vorgeschrieben. In manchen Gegenden blieb die Keule als Waffe des geringen Volkes und der Lohnkämpfer üblich. Zum Siege genügte es, dass das Blut des Besiegten den Erdboden färbte, oder der Besiegte durch Entkräftung oder Verlust der Waffen nicht mehr zu kämpfen im stände war; wer aber bis zum Sonnenuntergang sich verteidigte, wurde von der gegen ihn erhobenen Klage freigesprochen.
   2) Das Los; seiner bedienten sich nach Tacitus Germania, Kap. 10 schon die Germanen, um den Willen der Götter zu erforschen. Es wird in den Verordnungen fränkischer Könige und in den Volksgesetzen erwähnt und wurde besonders bei Diebstahlbeschuldigungen angewendet. Später verschwindet es.
   3) Feuerprobe, judicium ignis, probalio per ignem. Zu unterscheiden sind drei Arten: a) der Beschuldigte musste seine Hand eine, wahrscheinlich genau bestimmte Zeit in das Feuer halten und galt als unschuldig, wenn er sie unverletzt zurückzog. b) Der Beklagte musste seine Unschuld damit beweisen, dass er im blossen Hemde, oder in einem Wachshemde unversehrt durch einen brennenden Holzstoss ging; mit dieser Probe soll Richardis, die Gemahlin Karls des Dicken, ihre Unschuld bewährt haben. c) Üblicher und verbreiteter als die beiden genannten Feuerproben war die Probe des heissen Eisens. Auch hier sind zu unterscheiden: aa) die Probe des Eisentragens, wonach ein Eisen von bestimmter Schwere eine Strecke (gewöhnlich 9 Schritte) weit mit blossen Händen getragen werden musste, und bb) die Probe der glühenden Pflugscharen, deren in der Regel 9, oft aber auch 6 oder 12 in einer bestimmten Entfernung von einander gelegt wurden, über die der Angeklagte barfuss gehen musste. Auch diese Probe soll nach alten Chronisten die Gemahlin Karls des Dicken, ausserdem Kunigunde, Heinrich II. Gemahlin, und Emma, die Mutter Eduard des Bekenners, rühmlich bestanden haben.
   4) Wasserprobe. a) Probe mit heissem Wasser, judicium aquae ferventis, bei den Friesen Ketelfang, Kesselfang, geheissen, gehört nebst dem Tragen des glühenden Eisens und dem Kampf zu den am weitesten verbreiteten und am häufigsten erwähnten Ordalien. Diese Probe ging dahin, dass der Beklagte aus einem Kessel, in welchem Wasser siedend gemacht worden, einen Ring oder Stein, der hineingeworfen war, mit blossem Arm unverletzt hervorholen musste.
   b) Probe mit kaltem Wasser. Der Beschuldigte wurde entkleidet, mit einem Strick um den Leib (um ihn wieder herausziehen zu können) ein oder auch mehrere Male in das Wasser geworfen; das Untersinken wurde für ein Zeichen der Unschuld, das Schwimmen für einen Beweis der Schuld gehalten. Zuweilen warf man den Beschuldigten in ein grosses, dreifudriges Gefäss statt in ein eigentliches Gewässer. Das älteste historische Zeugnis für den Gebrauch dieser Probe ist ein Verbot desselben durch Ludwig den Frommen vom Jahr 829; man findet sie wenigstens vom 12. Jahrhundert an über Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, England und Schottland verbreitet. Sie erhielt sich besonders In den Hexenprozessen.
   5) Kreuzurteil. Beide streitenden Teile mussten mit aufgehobenen Händen an einem Kreuze stehen; wer von ihnen zuerst die Hände sinken liess oder bewerte, galt für besiegt. Zuweilen wurde gefordert, dsss beide Teile so lange vor dem Kxenze stehen mussten, bis einer von ihnen vor Ermattung hinfiel. Diese Probe wird zuerst in einem Kapitulare Pipins vom Jahre 782 erwähnt; in mehreren Fällen hat sie Karl der Grosse vorgeschrieben, der auch verordnete, dass sie Kreuzesprobe und nicht der Kampf, entscheiden sollte, wenn unter seinen Söhnen Streit über Grenzen und Umfang ihres Gebietes entstehen würde. Ludwig der Fromme verbot dieses Gottesurteil im Jahr 826.
   6) Probe des geweihten Bissens, Dem Beschuldigten wurde ein vorher benedizierter Bissen Brot und Käse gegeben, und er galt für überwiesen, wenn er denselben nicht leicht hinunterbringen konnte, er ihm im Halse stecken blieb oder wieder herausgenommen werden rnusste. Die Redensart "dass mir das Brot im Halse stecken bleibe" soll von diesem Gottesurteile herrühren.
   7) Abendmahlsprobe. Der Beschuldigte musste mit den Worten: corpus Domini sit mihi ad probationrn hod, das Abendmahl nehmen. Diese Probe war vorzüglich bei der Geistlichkeit in Gebrauch, doch wurden auch Laien oft zur Reinigung durch dieselbe zugelassen.
   8) Das Bahrrecht, jus feretri, wurde angewendet, um den Thäter bei einer verübten Mordthat zu ermitteln. Der Ermordete wurde auf eine Bahre gelegt und diejenigen Personen, auf welchen der Verdacht ruhte, mussten hinzutreten und unter Aussprechen gewisser Formeln mit der Hand den Leichnam des Ermordeten, gewöhnlich die Wunden und den Nabel berühren. Man glaubte, dass, wenn der Schuldige sich auf diese Weise dem Ermordeten nähere, ein Zeichen geschehen und die Wunden zu bluten oder zu zittern anfangen, der Tote seine Gesichtsfarbe ändern würde. Geschah von dem allen nichts und bekannte der Verdächtige nicht freiwillig, so musste seine Unschuld als erwiesen angenommen werden. Siehe Nibelungenlied, 984-986, Hartmanns Iwein, 1355-1364.
   Abgesehen vom Zweikampfe, standen die Ordalien unter der Leitung der Geistlichkeit und wurden bis auf das kalte Wasserordal in der Kirche vollzogen, mit Einwilligung der Priester. Es konnte geschehen, dass Reinigungen durch Grottesprobe nicht vor sich gingen, weil die Priester ihren Dienst verweigerten. Namentlich durch Fasten bereitete man sich zum Gottesurteil vor. Zur Probe selbst war die Kirche für das Volk verschlossen und nur gewissen Zeugen geöffnet. Das zum Urteil Erforderliche wurde vorbereitet, der Kessel aufgesetzt, das Eisen in das Feuer gelegt. Der Angeklagte kniete nieder, der Priester erflehte im Gebete Gottes Beistand. Nach der Messe beschwor der Priester den Beklagten noch einmal, Gott nicht zu versuchen; schwieg derselbe, so reichte ihm der Priester das Abendmahl mit den Worten: Corpus hoc et sanguis Do-mini nostri Jesu Christi sit tibi ad probationem hodie. Alle Gegenwärtigen wurden mit Weihwasser besprengt und mussten vor dem Angeklagten beten. Evangelium und Kreuz wurden ihm zum Küssen gereicht und ihm andere Kleider angelegt. Während dem sang der Priester eine kurze Litanei und sprach dann über das Wasser, Feuer etc. einen Exorcismus und eine Benediktion. Dann sprengte er das Eisen, das auf dem Feuer lag, mit Weihwasser und reichte es dem Angeklagten, oder der Kessel wurde vom Feuer genommen, der Stein oder Ring hinabgelassen. - Bei einigen Ordalien wurde sogleich über den glücklichen oder unglücklichen Ausgang entschieden, beim Zweikampf wurde das Urteil von den Kampfrichtern ausgesprochen. Bei der Probe des heissen Eisens und Wassers wurde nach der Probe die Hand sofort eingewickelt, versiegelt und erst am dritten Tage geöffnet. Die Geistlichen liessen sich für ihre Mühewaltungen bei den Ordalien bezahlen.
   Man betrachtete die Gottesurteile als ein erschwertes und äusserstes Beweismittel, als die letzte Zuflucht zur Ermittelung der Wahrheit. Erst wenn der Eid und die Stellung von Eideshelfern nicht mehr genügte, griff man zum Zweikampf und erst nach diesem zu den übrigen Ordalien. Die Rechtssammlungen enthalten deshalb überall das Streben, das Gottesurteil auf besonders qualifizierte Streitigkeiten zu beschränken. Oft hing es von der Willkür des Klägers ab, die gewöhnliche gesetzliche Beweisführung zu verwerfen, indem er bei Erhebung der Klage erklärte, die Sache auf die Entscheidung Gottes ankommen lassen zu wollen. Unter Umständen stand auch dem Kläger eine Wahl zwischen verschiedenen Proben offen.
   Im 13. und 14. Jahrhundert noch waren Kampf und andere Proben in den meisten europäischen Ländern ein sehr übliches Beweismittel. In Frankreich hob Ludwig IX. den gerichtlichen Zweikampf im Jahre 1260 auf. In England waren seit dem 12. Jahrhundert die Krone und einsichtsvolle Männer bemüht, die Ordalien ausser Gebrauch zn bringen. In den skandinavischen Ländern wurde die Abschaffung der Ordalien besonders durch die Bemühungen der römischen Kurie und der höheren Geistlichkeit bewirkt. In Deutschland, wo das Kampfrecht als gerichtliches Beweismittel nie die Ausdehnung erhalten zu haben scheint, wie in Frankreich und England, verschwand in den Städten das Kampfrecht mit der Entwickelung eines eigenen Stadtrechtes bereits seit dem 13. Jahrhundert, doch kommen einzelne Fälle noch im 15. Jahrhundert vor. In den meisten europäischen Ländern trat an die Stelle der Gottesgerichte die Tortur, nur in England nicht. Zu neuem Leben wurden die aus den Gerichten fast ganz verschwundenen Gottesurteile durch die Hexenprozesse erweckt, besonders die kalte Wasserprobe und das Wägen der Hexen. Man glaubte nämlich, dass die von dem Teufel besessenen Hexen ihre natürliche Schwere verlieren, wodurch sie teils im Wasser oben auf schwämmen, teils bei dem Wägen ungewöhnlich leicht befunden würden. Auch das Bahrrecht hat sich als letzter Best der Gottesurteile in einzelnen Fällen bis ins 18. Jahrhundert erhalten.
(Götzinger, Dr. E. - Reallexikon der Deutschen Altertümer. Ein Hand- und Nachschlagebuch der Kulturgeschichte des deutschen Volkes, Leipzig 1885, S.335-338)



 weiterführende Literatur und Quellen 
Amira, Karl von - Grundriss des germanischen Rechts, 1913
Götzinger, Dr. E. - Reallexikon der Deutschen Altertümer. Ein Hand- und Nachschlagebuch der Kulturgeschichte des deutschen Volkes, Leipzig 1885
Henne am Rhyn, Dr. Otto - Kulturgeschichte des deutschen Volkes, Erster Teil, 1886
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Wikipedia - Gottesurteil


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