Rechtsbräuche


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Gestalt und Name des Scharfrichters in der Volksmeinung
Von Konrektor i.R. Dr. Paul Knauth, Freiberg

   Da jetzt die vielumstrittene Todesstrafe in unserm heute so menschenfreundlichen Deutschland nur selten noch vollstreckt wird, so gehören Amt und Handwerk des Scharfrichters in der Hauptsache der Vergangenheit an. Es war kein "ehrbar" Handwerk, sondern zählte mit den Badern, Flickschustern, Leinwebern, Pfeifern u.a. zu den "Unerhrlichen". Der Scharfrichter war aber nicht nur selbst "unehrlich", sondern es machte auch jede Berührung mit ihm unehrlich. So verstehen wir, warum Heinrich Heines Romanze "Schelm von Bergen", als die mit einem Unbekannten im Düsseldorfer Schloß tanzende Herzogin, obschon jener zu ihr sagte: "Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir, Mein Anblick bringt Schrecken und Grauen", ihrem Tänzer die schwarze Maske vom Anlitz reißt, sogleich alles mit Entsetzen zurückweicht: "Das ist der Scharfrichter von Bergen! So schreit Entsetzt die Menge im Saale Und weichet scheusam." Damit die Herzogin nicht mit einem Unehrlichen getanzt habe, schlägt ihn dann der Herzog zum Ritter. So war die eine seelische Einstellung des Volkes gegen den Scharfrichter Abscheu und Verachtung wegen seiner gesellschaftlichen Ausgeschlossenheit. Diese wieder beruht teils darauf, daß oft Unfreie, ja begnadigte Verbrecher dieses Amt verwalteten, mit dem in der Regel auch das anrüchige Geschäft des Abdeckers verbunden war, teils darauf, daß es im Zeitalter des Folterns und später der Hexenverbrennung bei seinen Ausübern eine besondere Härte, ja Grausamkeit und Roheit voraussetzte. Auch daß es ein bezahltes Amt war, trug nicht eben dazu bei, es bei Ritter und Bürger geachtet zu machen.
   Die andere seelische Einstellung des Volkes gegen den Henker war Furcht vor dessen Zauberkräften, die ihm durch seine Berührung mit den dem Tode Verfallenen verliehen wären. Diese Furcht war uralt. Sie stammte aus dem vorgeschichtlichen Zeitalter des magischen Denkens der Menschheit (im Gegensatze zu dem Kulturzeitalter des logischen Denkens), dessen Nachwirkungen noch heute in den verschiedenen Formen des Aberglaubens zu erkennen sind. In jenem Zeitalter des magischen Denkens wurde der Hinzurichtende als Sühnopfer für die durch ein Delikt beleidigte Gottheit angesehen und der Henker als der Opfernde, beide aber wurden als in reger Beziehung zur Gottheit Stehende betrachtet. Die Beziehung auf die heidnische Religion rottete die christliche Kirche aus, doch gelang ihr die Ausrottung nur unvollständig. Noch lange Zeit sah man den Henker als zauberkundigen Geisterbanner sowie als Heilkundigen an, der auch im Besitze sympathetischer Zaubermittel sich befinde. In Crimmitschau z.B. war ein Scharfrichter namens Häring, der Geister bannen konnte. Man schickte zu ihm, als ein Bauer seine verstorbene Tochter herzitiert hatte und nun wieder ins Bereich des Todes zurücksenden wollte, was dem Scharfrichter ohne weiteres gelang. Er verkehrt natürlich auch mit Zauberinnen; so der Dresdner Scharfrichter Melchior Vogel (A. Meiche, Sagenbuch des Kgr. Sachsen 488). Er versteht es, Menschen, vor allem Hexen zu bannen. (In Ostthüringen, Westsachsen, Schlesien; vgl. Friedrich Sieber, Sächs. Sagen 236). Zu seinen Zaubereien benutzt er den Zauberspiegel. Er ist im Besitze zauberkräftiger Dinge, vor allem magischer Heilmittel.
   Das magische Denken spielte noch eine Rolle in der mittelalterlichen Medizin. Wie sich der frühmittelalterliche Scharfrichter nicht auf eine logische Beweisführung, sondern auf die Glaubwürdigkeit der Eideshelfer stützte, so die mittelalterliche Heilkunde nicht auf die Krankheitserkennung durch Untersuchung des menschlichen Körpers, sondern auf den Glauben an die störende Einwirkung übersinnlicher Mächte. Daher hoffte man Abhilfe weniger von Aerzten, als von Personen, die durch ihre Zauberkräfte die Krankheiten heilen könnten. Zu diesen Personen gehörten neben den Schäfern besonders auch die Scharfrichter. Diese müssen noch bisweilen mit ihren Heilkünsten wirkliche Erfolge erzielt haben. Sonst hätte ein so aufgeklärter Mann wie Friedrich der Große nicht einen Scharfrichter (Coblenz in Berlin) zu seinem Hof- und Leibarzt gemacht. Vor allem fragte man den Scharfrichter auch als Tierarzt oft um Rat. Man glaubte, daß die Krankheit des Viehs durch den Zauber einer Hexe veranlaßt sei. Diese Hexe machte dann der Henker unschädlich. Um 1760 bannte in München der Scharfrichter Martin alle Hexen der Stadt. Besonders die schlesischen Bauern bedienten sich oft des Scharfrichters bei Krankheiten von Menschen und Vieh.
   Durch solche Erfolge wurde die Furcht vor dem Scharfrichter, von der wir oben sprachen, in der Volksseele überwunden.
   Die Hinrichtungen, die ja öffentlich vorgenommen wurden, waren im Mittelalter Volksfeste. Sie fanden meist auf bestimmten Feldern statt. So gab es vor den Toren Freibergs im Süden ein Scharfrichterfeld. Es lag unterhalb der drei Kreuze nach der Stadt zu im sogenannten Rosenkränzer Zug. Dieser bestand in einer Anzahl Berggebäude, die einen Gangzug bildeten (siehe Knauth, Ortsnamenkunde des östlichen Erzgebirgs S.110). Das Scharfrichterfeld scheint wenigstens von 1585 bis in den Anfang des 17. Jahrhunderts hinein der Hinrichtungs- Wasenplatz gewesen zu sein. Vorher befand sich das "Gericht", d.i. Hochgericht auf dem sechzig Meter über der Stadt gelegenen Gelände des Roten Vorwerks, dem sog. Wasserberge*), der 1444 von dem Rate der Stadt erworben wurde. Der Galgen stand wie meist auch hier an der Flurgrenze, und zwar auf der Höhe am östlichen Ende des Freibergschen Waldes. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß zu den zahlreichen Gerichtsbergen (vgl. das alte Gericht auf der Höhe bei Marienberg, sowie den "Gerichtsberg" westlich Zschopau und östlich Hennersdorf) nach Edward Schröders überzeugenden Ausführungen (Zschr. F. Ortsnamenforschung 4, 112) auch das jetzt viel genannte Dinkelsbühl (1188 Tinkelsspuhel) gehörte: von thingel kleines oder niederes Gericht und bühel Hügel oder Höhe.
   Die Hinrichtungen wurden vom Volke scherzhaft nachgeäfft, hauptsächlich zu Pfingsten. In einem solchen "Scharfrichterspiel" im Egerlande werden vor einem Gericht die Tugenden und Untugenden der Dorfmädchen gerichtet. Auch die Kinder spielten "Henkers" und "Richters", d.i. Nachrichters (s.u.), zum Beispiel in Schwaben und in der Schweiz.
   Der Aberglaube des Volkes erstreckt sich auch auf das Richtschwert des Henkers. Dieses Schwert klirrt, wenn einer hingerichtet worden ist, vor allem aber, wenn eine Hinrichtung bevorsteht. Noch im Jahr 1907 war es, daß ein 81jähriger Schlesier erzählte, sein Urgroßvater, der Scharfrichter gewesen sei, habe das Richtschwert über dem Bett hängen gehabt; wenn es sich nun nachts hin- und herbewegte, so habe er gewusst, daß er bald zu tun haben werde (Kühnau, Schles. Sagen).
   Was nun den Namen Scharfrichter betrifft, so ist er, wie die Belege, die E. Angstmann beigebracht hat, zeigen, aus dem Gebiete der niederdeutschen Mundart zunächst nach dem westlichen und dann nach dem östlichen Mitteldeutschland im 14. und 15. Jahrhundert vorgedrungen (Erster Beleg: scarperichtere Braunschweig 1312). Im 16. Jahrhundert, besonders nach dessen Mitte, erscheint er überall in Deutschland und ist die rein sachliche, amtliche Bezeichnung für den Vollstrecker der Todesurteile. In der Nähe unseres Landes taucht er zuerst im Egerland (um 1500) und in Ostthüringen auf, 1585 als "Scharfmeister" in Dresden, 1658 in Gera, 1672 in Leipzig, 1703 in Chemnitz. Das Eigenschaftswort "scharf" = schneidend bezieht sich auf das Richtschwert. Bisweilen findet sich im Mittelalter auch die nicht zusammengesetzte Form "der scharfe Richter".
   Auch gemeindeutsch geworden ist, besonders seit dem 18. Jahrhundert, der „Nachrichter“. Allein im Gegensatz zum Scharfrichter stammt der nachrichter aus Süddeutschland. Er erscheint zuerst im 14. Jahrhundert im Elsaß, in Baden und der Schweiz, dann in Schwaben und um 1400 in Böhmen. Er wird auch als Unterrichter bezeichnet und steht im Range dem Scharfrichter nach. In Chemnitz ist 1703 die Rede vom "Scharf- und Nachrichter". Auch wird das Wort im Sinne von "stellvertretender" Richter gebraucht (vgl. nach in "Nacherbe"). In älterer Zeit findet sich für Nachrichter auch einfach "Richter" angewendet, eine Bezeichnung, gegen die die wirklichen Richter begreiflicherweise Einspruch erhoben.
   Zuerst gemeindeutsch geworden ist der Name Henker. Schon 1276 bietet ihn das Augsburger Stadtrecht. Im Anfang des 15. Jahrhunderts erscheint er bereits überall, nur daß er auf mitteldeutschem Gebiete Henger lautet (in Leipzig um 1400, Jena 1409). Doch hat sich die oberdeutsche Form Henker durchgesetzt. Da er an die schimpflichste Form der Todesstrafe, die durch Hängen, erinnert, so blieb er zwar in Volks- und Dichtermund gebräuchlich, wurde aber in Schrift- und Amtssprache durch Scharfrichter ersetzt.
   Gegenüber den wenigen gemeindeutschen Bezeichnungen stehen die zahlreichen, die landschaftlich beschränkt sind, was die gemeindeutschen ursprünglich ja auch waren. So ist z.B. "Büttel" auf Norddeutschland, "Züchtiger" auf Franken und Schwaben, "Freimann" auf Bayern und Oesterreich beschränkt. "Schleifer" findet sich nur in Obersachsen und Erzgebirge. Hier nur noch in dem Fluche "huls (hols) der Schleifer" und der Redensart "das hat den Schleifer (Henker, Schinder)" d.h. seine Schwierigkeit.
   Manche Benennungen werden nur ausnahmsweise auf den Scharfrichter übertragen wie "Schelm" (vgl. den oben erwähnten Schelm von Bergen), "Stocker" (wovon die Familiennamen Stöcker, Stöckert u.a.) d.i. der den Stock, die hölzerne Strafmaschine, in welche die Deliquenten gelegt werden, zu versorgen hat. In Chemnitz, Freiberg und anderen Orten heißt er Stockmeister. Er behütet aber nicht nur den Stock, sondern vollstreckt, wie wenigstens aus Freiberger Akten hervorgeht, auch Leibesstrafen.
   Manche Namen für den Scharfrichter sind Schöpfungen des Volkshumors; so: Abkürzer, Auweh, Meister Fix, Hauptkassierer, Meister Knüpauf. In allen Namen aber findet die Meinung ihren Ausdruck, welche das Volk vom Scharfrichter und seiner Tätigkeit hatte.

Anmerkungen:
*) Es ist begreiflich, daß sich Gerichtsstätten oft in der Nähe von Wasser befanden

(Crimmitschauer Heimatblätter, 1930, Nr.3)

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