gefährdete Flurdenkmale


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Die Erfahrungen der DSF bei der Restaurierung von Flurdenkmälern.
Von Werner A. Wiedemann

   Mein Thema ist schnell abgehandelt, denn mit Restaurierungen, im Sinne von Wiederherstellung oder Verändern eines früheren Zustandes, haben wir keine eigenen Erfahrungen. Ich halte dies für einen widernatürlichen Eingriff in die Zeitläufe, der größtenteils dazu dient, einige Leute ihre Perfektionsmanie ausleben zu lassen. Die Flurdenkmäler stehen seit Jahrhunderten in unseren Landschaften und die Spuren der Zeit müssen nicht nur erlaubt sein, sie sind Teil ihrer Geschichte. Die Ergebnisse nach den "Verschönerungen" durch Steinbildhauer oder sonstige "Berufene", die aus sogenannter "Liebe zur Heimat" Hand an die Flurdenkmäler legen, ähneln häufig den Arbeiten der plastischen Chirurgie, die den Gesichtern mit den Falten auch den individuellen Charakter nehmen - und das hat etwas mit Würde und Achtung zu tun. Mir ist jedenfalls ein mit lebendigen Falten ausgezeichnetes Gesicht lieber, als ein geliftetes, wo der linke Arm zuckt, wenn der oder die Geliftete die Oberlippe bewegt. Ergänzungen, Bemalungen sind zu stark von der Einstellung und Qualität der Ausführenden abhängig und sind deshalb zu vermeiden. Sie dienen meist als schlechtes Beispiel und Bestätigung des Sinnworts: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut.
   Die Konservierung von Flurdenkmälern ist gewiß ein hochinteressantes Thema. Wenn ich mir vorstelle, daß jahrzehntelang Flurdenkmäler falsch behandelt wurden und nicht Erhaltung erreicht, sondern Zerstörung eingeleitet wurde, dann werde ich wütend. Wütend über mich selbst, weil ich mich einlullen ließ und den sogenannten Experten geglaubt habe. Denn diese gingen doch Wanderpredigern gleich durch die Lande und haben ihre "Kenntnisse" firiert, haben Landräte gelinkt, die aus gutem Glauben heraus Bildstockaktionen finanziert haben, degradierten Heimatpfleger zu Wasserträgern - und besonders verwerflich ist, daß sie die Zerstörung billigend in Kauf genommen haben. Die Entschuldigung: Man habe es nicht besser gewußt, darf nicht durchgehen.
   Die von Herrn Ibach entwickelte oder mit entwickelte Acryl-Harz-Tränkungsmethode scheint ja wirkungsvoll zu sein. Herr Ibach zeigt auch Bildstöcke, die mit Erfolg behandelt wurden. Aber er wird mir recht geben, daß die Flurdenkmäler nur attraktive Vorzeigestücke sind, denn wenn ich Herrn Dr. Bauers Zahl aufnehme, gibt es allein in Unterfranken ca. 5.000 Objekte. Diese Anzahl erspart das Nachdenken über Kosten und Zeitaufwand dieser Methode für eine flächendeckende Aufarbeitung. Vielleicht eine Selektion? Wer selektiert? Wieder Experten? Kommunalpolitiker? Oder wer am lautesten ruft?
   Der nächste Punkt ist Rekonstruktion. Ich meine jetzt nicht die Ausnahmefälle, Duplikate von herausragenden Objekten anzufertigen, weil allein der außergewöhnliche künstlerische Wert Verpflichtung ist, diese Denkmäler der Nachwelt als Dokumente zu hinterlassen. Die Unsitte, von jedem abgegangenen Flurdenkmal ein Neuwerk anzufertigen, hat zwar manche Kuriosität hervorgebracht, aber dient letztlich der Sache nicht. Häufig kommt diese Forderung aus dem Sühnegedanken, daß der Zerstörer nicht ungeschoren davonkommt. Ich denke da an die Autofahrer, die ein Flurdenkmal umfahren. Der Ruf nach Vergeltung mag ja berechtigt sein, aber es trifft nicht den Verursacher, sondern die Versicherung zahlt. Da kann ich Ihnen ein Beispiel nennen. Ein Fahrer fuhr mit seinem PKW einen Bildstock von 1720 um. Es war der Schaft an einer Stelle abgebrochen. Sonst war alles intakt. Die Versicherung zahlte einen neuen Bildstock. Die Jahreszahl und Initialen fehlen darin. Das Original wurde vom Grundeigentümer verkauft und ist verschwunden. Bei Versicherungsschäden wäre die Möglichkeit zu überdenken, die Versicherungssumme für die Konservierung mit der Tränkungsmethode eines anderen Flurdenkmals zu verwenden. In einer anderen Gemeinde, in einem anderen Landkreis, wo eben ein geeignetes Objekt steht. Dazu gehört Fantasie und der Wille, über den eigenen Kirchturm hinauszuschauen. Dazu gehört eine flexiblere Justiz, die Geldstrafen zweckgebunden den Flurdenkmälern und nicht nur stereotyp humanitären Organisationen zuspricht. Auch der Erhalt der Kulturlandschaft ist ein humanitärer Akt.
   Restaurierung, Konservierung, Rekonstruktion sind herrliche Diskussionsthemen. Das Wichtigste ist für mich die Bestandssicherung. Unsere Hauptaufgabe muß es sein, den geistigen Wert des Flurdenkmals, seine Funktion als Bindeglied zwischen Mensch und Landschaft wieder ins Bewußtsein bringen. Es genügt nicht, in Sonntagsreden von "Zeugen der Geschichte", "Auftrag der Vorfahren" und "mahnendem Erbe" zu schwätzen, wenn genau derselbe Bürgermeister keinen Finger rührt, bei Straßenbaumaßnahmen gefährdete Denkmäler zu schützen. Es genügt nicht, wenn sogenannte Denkmalschützer bei jeder Gelegenheit mahnend die Zeigefinger heben und in ihren Orten Grenzsteinfriedhöfe anlegen, um sich dann als große Retter in der Presse feiern zu lassen. Hier wird Denkmalschutz verhöhnt. Ich erspare Ihnen die Liste der Negativbeispiele, aber eines sei mir erlaubt. Im Mitteilungsblatt der Gemeinde Postbauer-Heng, Lkr. Neumarkt, vom August '91, ist über die Grenzsteine des Deutschen Ordens der Vogtei Postbauer geschrieben. Unter der Rubrik "Heimatpflege": "Nachdem diese Grenzsteine denkmalgeschützt sind, darf eine Ausgrabung bzw. Entwendung nicht erfolgen. Aus diesem Grunde werden die Einzelaufzeichnungen aus der vorhandenen alten Forstkarte nicht veröffentlicht, sie wird der Gemeinde Postbauer-Heng für das Archiv übergeben. Der vorhandene Stein wird in Kürze im Rathaus Postbauer-Heng aufgestellt, sicher wird er einmal seinen Platz im zukünftigen wieder aufgebauten Schloß finden. (Copyrightvermerk: Ferdinand List, Heimatpfleger)
   Dieser Mann hat nichts begriffen. Wer die Öffentlichkeit, die Menschen, ausschließt und sie noch in die Ecke potentieller Diebe stellt, der kann die Flurdenkmäler auch vergraben. Flurdenkmäler gehören allen und sind nicht in der Verfügungsgewalt eines Heimatpflegers.
   Die Public Relations-Methoden sind heute so fein, daß wir sie auch für die Flurdenkmäler nutzen sollten. Möglichkeiten gibt es wahrlich viele. Zum Beispiel gibt es Plakataktionen für geschützte Pflanzen, geschützte Tiere usw., die in öffentlichen Gebäuden aushängen - warum nicht auch für Flurdenkmäler? Jugendwettbewerbe, Aktionen, die mit der Presse durchgezogen werden und, und, und. Die Bevölkerung muß mit eingebunden werden. Nur so schafft man eine Beziehung, und diese Beziehung ist der beste Schutz.
   Ich kann auch das Gegreine über das Desinteresse der Jugend nicht mehr hören. Dann muß man eben mit der Jugend in ihrer Sprache reden. Wenn man einen Bantu auf chinesisch anspricht, wird auch keine Reaktion kommen. Die oberlehrerhafte, besserwisserische Art vieler Denkmalschützer stößt die jungen Leute ab und es braucht niemanden zu wundern, daß Denkmalschutz für einen großen Teil der Jugend nicht interessanter ist als ein Fahrrad, das auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking umfällt. In ihrer Sprache sprechen, sie begeistern für ein hochinteressantes Gebiet, das muß unsere Aufgabe sein. Wir sind verkrustet und können nicht rüberbringen, daß die Geschichte eines Flurdenkmals "turboaffengeil" sein kann und die Erhaltung "total gut" ist. Ich habe den Verdacht, daß wir auch in Zukunft weiter inzüchteln und viele der sog. Denkmalschützer nicht von ihrem selbstgezimmerten Thron herabsteigen wollen. Aber auch hier gilt "Die Jugend ist unsere Zukunft" - und die Zukunft der Flurdenkmäler". Wenn wir die Jugend heute nicht gewinnen, können wir uns Diskussionen über Erhaltungsmaßnahmen schenken. Denn jede Generation baut die Straße, auf der die nächste fährt.
   Für die Deutsche Steinkreuzforschung sind prophylaktische Maßnahmen der wesentliche Teil ihrer Arbeit. Unser Denkmalschutztrupp ist jedes Wochenende unterwegs und überprüft Flurdenkmäler. Spricht mit den Leuten, macht sie stolz auf ihre Objekte. Sollte durch bevorstehende Bauarbeiten, Flurbereinigungsarbeiten usw. eine Gefährdung zu erwarten sein, wird mit den Behörden Kontakt aufgenommen, werden Vorschläge gemacht. Und wenn notwendig, wird sofort Hand angelegt. Wenn ein Steinkreuz umgefallen ist, wird es aufgestellt, wenn ein Denkmal abgebrochen ist, wird es zusammengesetzt. "Taupacken, nicht snacken, sabbeln und babbeln", steht an einem Haus in Celle. Wir halten uns daran. Und nur so ist es möglich, daß wir seit 1950 allein in Mittelfranken und der Oberpfalz über 700 Denkmäler vor dem sicheren Untergang bewahrt haben. Und wenn ein Objekt nicht mehr zu retten ist, dann ist dies äußerst schmerzlich. Langes Lamentieren nützt aber überhaupt nichts. Wir müssen unseren Aufklärungsfeldzug intensivieren, denn nur so können mutwillige und unbedachte Zerstörungen begrenzt werden.
   Wir sollten bei all unserem Ehrgeiz aber nicht vergessen, daß wir nicht Herren und Frauen dieser Erde sind, daß Vergänglichkeit ein Teil der Schöpfung ist. Niemand und Nichts sind davon ausgenommen.
   Lassen wir die Flurdenkmäler möglichst in Ruhe. Lieber mal vor einem Bildstock in Ehrfurcht verharren, bevor wir den Verwitterungsgrad bewerten. Wenn dieses Vorbild wieder Schule macht, haben wir mehr zum Schutz beigetragen, als mit aufwendigen Restaurationen und Rekonstruktionen.

Werner A. Wiedemann

(Steinkreuzforschung, Mitteilungsblätter, Nr.2 / 1993, S.10-11)

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